Sie sitzen also immer noch ... (1999)

... in ihrem Keller und leiden, die beiden in Hermannstadt wohlbekannten Herren mit den seltsamen „Namen“ AA und XX. Wenn sie auch erst 1975 in Paris das Licht der Welt erblickten, sind sie doch seitdem bereits das dritte Mal in Hermannstadt am Theater zu sehen. Eine gewisse Affinität scheint also zu herrschen zwischen dem hiesigen Theater und den beiden Emigranten aus dem gleichnamigen Stück des polnischen Schriftstellers/Dramatikers Slawomir Mrozek, die auch heute noch mit ihrem Schicksal in der Fremde hadern, wie sie es schon 1992 und 1983 taten. Der Rezensent sieht sich also mit hervorragenden Bedingungen konfrontiert, das Wechselspiel zwischen Gegenwartstheater und gesellschaftlichen Zuständen und Veränderungen in einer geradezu laborähnlichen Versuchsanordnung zu beschreiben in der Art: ‚Rezeptionsweisen eines politischen Gegenwartsdramas in drei Phasen gesellschaftlicher Ordnung, nämlich zur Zeit des etablierten sozialistischen Totalitarismus, in der Übergangsgesellschaft und in der Gegenwart‘. All das will und wird die vorliegende Rezension nicht leisten aus unterschiedlichen Gründen. Wer dabei war, der soll es selbst tun, wer nicht dabei war, der möge über die gegenwärtige Inszenierung lesen und sich eigene Gedanken machen.
Während der Zuschauer im Theaterfoyer auf den Einlaß wartet dringt plötzlich gellender Sirenenlärm ins Theater. Noch überlegend, ob die Sirenen von draußen kommen oder schon Beginn der Vorstellung sind, wird man in den Theatersaal hinein und über die Bühne hinweg in einen großen, mit schwarzen Tüchern verhängten Raum geführt, der sich hinter der eigentlichen Bühne befindet. Auf der Suche nach einem freien Platz bemerkt man einen unrasierten Mann, der, den Kopf in die Hand stützend, an einem schäbigen Tisch vor der Zuschauertribüne sitzt. Als Tischdecke dient eine ausgebreitete Zeitung. Darüber hängt eine Lampe, d.h. ein Kabel mit Glühbirne und einem aus Papier improvisierten Lampenschirm. Weitere Elemente des Raumes sind zwei einfache Betten und ein Spind. Im Hintergrund eine Tür, die mit ausgerissenen Nacktfotos dekoriert ist, daneben ein Kleiderständer. Dominiert wird die Spielfläche von Rohren, die an der Rückwand des Raumes verlaufen. Dieser von Tristesse geprägte Raum wird für die folgenden zwei Stunden Schauplatz der Auseinandersetzung der beiden Protagonisten sein, die vorwiegend vom Tisch und vom Bett aus agieren. Der eine, AA, überzeugend gespielt von Georg Potzolli, sitzt zu Spielbeginn bereits am Tisch. Im Bademantel und mit Pantoffeln bekleidet umgibt ihn eine große Lethargie, die durch seine Haltung am Tisch und kurz danach im Bett noch verstärkt wird. Wie sich im Verlaufe des Stückes herausstellt ist er „der“ Intellektuelle, womit auch der Grund seiner Emigration genannt ist. Er wollte ein Buch über den Menschen in Unfreiheit, in Sklaverei, verfassen. In der Fremde und in Freiheit aber ist ihm sein Forschungsobjekt abhanden gekommen, so daß sein Projekt ins Stocken gekommen ist. AA repräsentiert den asketischen, an den Übeln der Welt leidenden Geistesmenschen, der reglos in seinem Schicksal verharrt, personifizierte Resignation. Der andere Emigrant, der wenige Minuten nach Spielbeginn den Kellerraum betritt, unterscheidet sich bereits äußerlich entschieden von AA: Elegant in Jackett, Hemd und Krawatte (Ton in Ton a la Mode) mit feinen Schuhen, dabei ein zufriedenes Grinsen ins Gesicht gemeißelt. Sofort sieht man die Eleganz, doch genau so schnell bemerkt man auch, daß die Kleidung zwar elegant, aber auch alt und nicht mehr so ganz frisch ist. Der Träger dieser angeschlagenen Eleganz, im Programmheft bezeichnet als XX, von Franz Kattesch großartig in Szene gesetzt, berichtet zufrieden von seinem Nachmittag, wie er durch die Stadt lustwandelte, am Bahnhof eine feine Dame kennenlernte und es mit ihr zu einer intimen Begegnung kam. Schnell entlarvt AA diese Geschichte als Lügenmärchen und Wunschgebilde. Überhaupt kennt AA seinen Zimmernachbarn genau, da er ihn als vollwertigen Ersatz für die Sklaven seines Heimantlandes ausgemacht hat. XX, das ist der dumpf vor sich hin lebende Mensch, der neben seiner täglichen Arbeit den Stimmen seiner Leibestriebe folgt und sich nicht weiter Gedanken über Sinn und Zweck des Daseins macht. So geht der Abend hin mit gegenseitigen Beschuldigungen und Entlarvungen, denn auch der Intellektuelle in seiner Lethargie wird bloßgestellt in seiner Untätigkeit. Verschiedene Versuche von beiden Protagonisten, durch die rückwärtige Tür das Elend des Kellerlochs zu verlassen, scheitern, da sich hinter der Tür nur ein schäbiger Gang und beißende Nebelschwaden befinden. AA und XX schließen ihren Frieden bei einer Flasche Wodka, da sie die Silvesternacht zelebrieren wollen. Dazu erklingt aus einer Spieluhr die Melodie eines Weihnachtsliedes. Das Spiel endet, wie es begonnen hat: Zwei einsame Männer, illusionslos und resigniert in einem kahlen schäbigen Kellerloch.
Ein nachdenkliches Publikum verließ das Theater, im Kopf das fulminante Spiel der beiden Hermannstädter Schauspieler Franz Kattesch und Georg Potzolli und das Bewußtsein, einer soliden Inszenierung beigewohnt zu haben. Die akustischen Effekte während des Stückes, Wasserrauschen und gelegentliche Moll-Improvisationen, verstärkten den Eindruck, den das Stück machte. Manchem schien es aber auch, daß sich die bleierne Schwermut der Spielszene bis ins Publikum erstreckte, wogegen das erfrischende Spiel der beiden Minnen nicht immer erfolgreich ankämpfte, allerdings liegt das natürlich im Charakter des Stückes selbst. Hinzu kommt die düstere Atmosphäre jenes Hinterzimmers, vielleicht noch der eine oder andere Gerüchtefetzen im Ohr über den Verbleib der deutschen Theater-Abteilung in Hermannstadt und fertig ist die Mixtur, die jede Frohnatur mit sich hinabreißt.
Wenn man sich die Realität anschaut und mit dem Spiel der Archetypen in der Emigration betrachtet, dann kann man immerhin zu dem Schluß kommen, daß es heute nur noch die XXe sind, für die wirkliche Notwendigkeit für die Emigration besteht. Der Intellektuelle kann schreiben und publizieren, was er möchte, sein Paradies kann er auch in der Heimat finden, das leibliche Wohl und all die feinen Dinge, die dazu gerechnet werden, lassen sich allerdings auch heute noch besser im Ausland beschaffen.

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