Große Gefühle in Hermannstadt (2000)

Am 12.04.2000 ereignete sich großes Theater in Hermannstadt. Die Deutsche Abteilung des Hermannstädter „Radu Stanca“-Theaters führte ihr neues Stück, „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller, auf und, so muß man ehrlich sagen, sie tat dies überzeugend. Die Bühne war raffiniert mit Tuch verhängt, das in der Mitte einen weit nach hinten verlaufenden Gang freiließ, zu dessen Seiten sich Zugänge befanden. Der Stoff war mit grobem Pinsel mehrfarbig dunkel gestrichelt und in der Bühnenmitte, deren Boden auch von Tuch bedeckt war, fanden sich die Farbflecken zu einem Kreis. Durch die Farben und die Linienführung wurde bereits vor Beginn des Stückes durch das von Mc. Ranin gestaltete Bühnenbild ein Vorgeschmack auf das vor Emotion und Leidenschaft prall gefüllte Stück gegeben. Mitten in diesem Fegefeuer aus Farben und Linien dann vier metallene Sitzmöbel, ein ebenfalls metallener Kerzenständer und ein kleiner Tisch. Damit steht das Setting, gesellschaftliche Konventionen mitten im Auge des Orkans und die Frage nach den Gewinnern und den Verlierern. Und auch die Hermannstädter Akteure konnten nur die Antwort geben, die ihnen Schiller in den Mund gelegt hat, es stirbt die Leidenschaft und Emotion, es obsiegt Intrige und gesellschaftliches Kalkül. Das Sterben, das geschah aber wahrlich wunderschön, neulich auf der Hermannstädter Bühne. Die Zeit vom Einnehmen des Gifttranks bis zur endgültigen Todesstarre waren die leidenschaftlichsten Momente, die ich je auf dieser Bühne gesehen habe und hätte sie fünf Minuten länger gedauert, dann wäre so mancher Theaterbesucher atemlos lauschend mit blauem Kopf Ferdinand und Luise in den Tod gefolgt. Franz Kattesch als der leidenschaftlich verliebte Jungsporn, der sich spontan über die gesellschaftlichen Konventionen seiner Zeit hinwegsetzt, hinwegsetzen will, aber sich dann doch schwertut, seinem mächtigen Präsidenten-Vater Paroli zu bieten und bei der Verhaftung von Luises Vater mehr schlecht als recht zu seiner Liebe steht und der schließlich keinen Ausweg mehr aus dem Dilemma sieht, als sich und Luise auf eine wenig männliche Art zu töten (Vergiften ist angeblich keine von Männern bevorzugte Todesart). Und auch die Luise Miller wird überzeugend auf die Bühne gebracht. Ruth Köhler in ihrer ersten und hoffentlich nicht letzten Rolle in Hermannstadt spielt die Tochter des Stadtmusikanten Miller nuancenreich. Wenn sie über die Bühne hüpft und mit ihrem Geliebten scherzt und kost, dann ist sie zwar zunächst jung und naiv und unwissend, dennoch scheint sie doch immer schon auch Böses zu ahnen und im Bewußtsein zu leben, daß sie als junges Mädchen nicht viel mehr ist, als ein Spielball der Mächtigen. Zwar versucht sie mit ihrem Besuch bei Lady Milford gegenzuwirken, muß aber letztendlich an der geballten Macht der Gesellschaft scheitern. Scheitern an der Gesellschaft, scheitern aber auch an dem intriganten Spiel, das einer wie Wurm als Sekretär des Präsidenten virtuos beherrscht. Georg Potzolli gibt den aalglatten, raffiniert agierenden Hofintriganten beeindruckend. Wenn Wurm sein Interesse an Luise ausdrückt fragt man sich, was will so ein Fiesling mit so einem netten Mädchen?
Die drei genannten Darsteller spielten alle mit offenem Visier und, von Wurm abgesehen, mit offenen Karten und lieferten ein beachtliches Zeugnis ihrer Schauspielkunst.
Die übrigen spielten sozusagen unter erschwerten Bedingungen und maskiert. Alle anderen Darsteller trugen Schaumstoffmasken mit überdimensionierten verzerrten Gesichtern auf ihren Köpfen, was ihre Ausdruckskunst auf Intonation und Gestik beschränkte. Solch eine dramaturgische Idee stellt natürlich immer ein gewisses Risiko dar, zum einen, weil solch ein Mittel wie ein Vorschlaghammer die feineren Nuancen einer Inszenierung erschlagen kann, zum andern weil den Masken tragenden Schauspielern nur noch begrenzt darstellerische Möglichkeiten bleiben. Es war aber beachtlich, was die Hermannstädter Schauspielkünstler daraus machten, denn die Art und Weise, wie sie spielten ließ manchmal vergessen, daß sie Masken trugen (und als sie nach anderthalb Stunden die Masken vom Gesicht nahmen waren ihre Köpfe so geschwollen und rot angelaufen, daß sie ihren Masken ähnlicher sah, als ihnen lieb war!). Und schließlich unterstreicht diese Aufteilung des Ensembles in zwei Gruppen den Unterschied zwischen den einzelnen Rollen: Die Maskenträger als die Repräsentanten des gesellschaftlichen Spiels namens Konvention, der eine mehr, der andere weniger, aber alle gefangen in den sozialen Rollen und Aufgaben, die sie vertreten. Und die andere Gruppe der „Nicht-Maskenträger“ als die Personen, die zwar auch in ihrem Tun eingeschränkt sind, die aber mehr als nur Rollen- und Pflichtverhalten kennen, sondern auch auf ihr Gefühl achten und eigenständig Entscheidungen fällen (selbst Wurm).
Die faszinierende Häßlichkeit der grotesk verzerrten Gesichter wird den Zuschauern sicher im Gedächtnis bleiben. Ich bin aber überzeugt davon, daß dies nicht das Einzige ist.

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