Über die Last des Lebens, oder: Der Kontrabass (2001)

Schon komisch, wenn man längere Zeit im halb abgedunkelten Zuschauerraum eines Theaters sitzt und nichts passiert. Man sitzt da und sinniert vor sich hin: Ob wohl vergessen wurde, das Licht vollständig zu löschen; ob jemand es rechtzeitig bemerken wird, oder ob man vielleicht selber...? Doch halt, ist dies nicht ein modernes Theaterstück? Aber ja, klar! Obendrein ein Einpersonenstück, typisch, und der Autor hat doch diesen Roman geschrieben, mit dem er unglaublichen Erfolg hatte und wohl immer noch hat, worauf man dann dieses Stück von ihm wieder ausgegraben hat und es ein großer Bühnenerfolg wurde. Ansonsten weiß man fast gar nichts über ihn, weil er zurückgezogen irgendwo in Frankreich leben soll, angeblich. Na ja, da kann es schon mal sein, dass man vergisst, das Licht zu löschen und dann so tut, als sei es richtig so!
Während man so vor sich hinsinnt, derweil ringsum die Stille wieder in leises Gemurmel übergegangen ist, betritt ein Mann mit lautem Geklirr aus den Tiefen der Plastiktüte in seiner Hand den Zuschauerraum, wünscht eiligen Schrittes einen guten Abend und... betritt die Bühne.
So recht wussten die Zuschauer nicht, was sie davon halten sollten, als ebendieses Dienstagabend im Hermannstädter „Radu Stanca“-Theater geschah. Einige erwiderten den Gruß, andere begannen zaghaft zu applaudieren, wieder andere verhielten sich unauffällig und machten so einen abgeklärten, kulturerfahrenen Eindruck.
Jener Herr aber hatte inzwischen von der Bühne Besitz ergriffen, die klirrende Tüte - die, wie sich noch herausstellen wird, voll Bierflaschen ist - abgestellt, sich vor dem Publikum verneigt (hat er? oder hat er sich vielmehr in seiner Rolle vor einem fiktiven Publikum verneigt?) und zu erzählen begonnen. Er sei Kontrabassist und sein Instrument ein ganz besonderes. Dieses sein Instrument im allgemeinen und sein Verhältnis dazu im einzelnen wird dann auch Thema des Abends sein. Man darf sich die Vorstellung nun aber nicht als eine Einführung in die Instrumentenkunde, Kapitel Kontrabass, vorstellen, mitnichten. Der Mensch auf der Bühne, ein Mittfünfziger mit Hang zur Gemütlichkeit um die Hüfte herum, ist von Beruf Orchestermusiker bei der Staatsoper, damit Beamter, ein Künstler mit Tarifvertrag also, was für sein Verhältnis zur Musik nicht unwichtig ist. Dieses sein sehr spezielles Verhältnis zur Musik und zu seinem Kontrabass ist äußerst ambivalent, man kann wohl sagen, dass ihn eine Hassliebe mit seinem Instrument verbindet. Wie er im Laufe des Abends sowohl real wie verbal um sein Instrument herumschleicht, dabei eine große Menge Alkohol zu sich nimmt („der Flüssigkeitsverlust, Sie verstehen!“), was die Stringenz seiner Erzählung nicht gerade befördert, dabei über unterschiedlichste Themen fabuliert, um schließlich wieder und wieder zu seinem Kontrabass zurückzukehren (der ja unübersehbar auf der Bühne steht), das ist schon toll anzusehen und -hören. Dabei werden alle emotionalen Register gezogen, vom albernen Schenkelklopfer bis zum leisen mitfühlenden Schluchzer wird dem Zuschauer alles abverlangt.
Was Wolfgang Wolter (München) dem Publikum präsentierte, war sicherlich eine Meisterleistung. Er hat das Stück von Patrick Süskind seit 1987 im Repertoire und man merkt Wolter die Erfahrung positiv an. Jede Nuance im Stück ist wohlgesetzt und jede Bewegung, jedes Gefühl überzeugend akzentuiert. Gefühle hat er ja eine Menge, dieser Kontrabassist, der sich wegen seines Instruments als das Letzte im Orchester sieht und auch sonst allerlei Leid zu ertragen hat („Der Kontrabass ist kein Instrument, sondern ein Hindernis“). Er stört eigentlich immer und bei allem, bei Ausflügen wie beim Sex. Außerdem verhindert er sogar, dass ihn die Sängerin seines Herzens überhaupt bemerkt.
So sinniert der Musiker während einer kleinen kalten Mahlzeit und vor einer Opernpremiere in der Staatsoper („Karten bis zu 650,-DM, lächerlich!“) über die Niederungen seiner Kontrabassisten-Existenz und kommt schließlich auf eine anarchistische Idee, die ihm die Aufmerksamkeit von Sarah, der Sängerin sichern, dafür aber die Sicherheit seiner beruflichen Position sehr wahrscheinlich beenden wird: Während der Aufführung laut ihren Namen zu brüllen. Die Idee fasziniert ihn und während er hinten von der Bühne ab- und dem Konzert zugeht, ruft er mehrfach begeistert „Sarah!“. Ob er seinen Plan in die Wirklichkeit umgesetzt hat, wir wissen es nicht. Genau wissen wir aber, dass wir Zuschauer einen äußerst unterhaltsamen Theaterabend und ein Wechselbad der Gefühle (inklusive Neid ob des Drogenmissbrauchs mittels Bergenbier und diverser Tabakwaren auf der Bühne) erlebten, was uns am Ende begeisterte, spitze Schreie ausstoßen ließ.

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