Die Reaktion auf Herrn Leonida

Tja, ein schwieriges Unterfangen, das dem Rezensenten da auferlegt wurde. Es gilt, eine Kritik zu verfertigen über ein kurzes Theaterstück, von dem er fast nichts weiß. Er kennt: Die zu besprechende Inszenierung der übersetzten Fassung und Randinformationen des Programmheftes. Das wahre Problem aber liegt jenseits davon. Die überwiegende Mehrheit der Leserschaft dieser Zeitung nämlich kennt das Stück in der Originalfassung und womöglich auch in diversen Inszenierungen, vom Theater oder aus dem Fernsehen.
Es gilt nun also, aus der Not eine Tugend und aus dem leeren Blatt eine passable Besprechung zu machen.
„Herr Leonida und die Reaktion“ in der Inszenierung von McRanin, die am 19.03.2002 an der Deutschen Abteilung des Radu-Stanca-Theaters Hermannstadt aufgeführt wurde, war mit gewisser Spannung erwartet worden, da es von allen Seiten tönte, dieses Stück, wie überhaupt alle Stücke von Ion Luca Caragiale, seien nicht übersetzbar. Der eigentliche Witz und Reiz in Caragiales Werken liege so tief im Sprachlichen verwurzelt, dass ein sprachlicher Transfer nur unter Preisgabe der vielfältigen Nuancen des Originals möglich sei. Die Information darüber, wer sich an die Übersetzung des inszenierten Stückes gewagt hat, bleibt uns das Programmheft schuldig. Und ob diese als ge- oder misslungen zu bezeichnen ist, darüber wird vorliegende Besprechung schweigen (müssen).
Die Hermannstädter Inszenierung selbst aber bot einen facettenreichen Einblick in die Tiefen des ganz gewöhnlichen, dabei unglaublich bizarren bürgerlichen Surrealismus oder surrealistischen Bürgertums. Das an expressionistische Stummfilme erinnernde Bühnenbild (für das auch der Regisseur verantwortlich zeichnet) stellt schwarz-weiß stilisiert ein Schlafzimmer mit kühn geschwungenem Mobiliar dar. Zu Spieluhrklängen und in kaltem Licht erscheinen die beiden Hauptpersonen, Herr Leonida und seine Gattin Efimitza (Georg Potzolli und Renate Müller-Nica). Nachtwäsche tragend und grell überzeichnet geschminkt führen die zwei einen Reigen auf, wie man ihn von Glockenspielfiguren oder Aufziehpuppen kennt: Abgehackte, roboterartige, wie ferngesteuerte Bewegungen, ohne jeglichen Eigenantrieb und ohne erkennbare Motivation. Im sich anschließenden Gespräch entlarven sich die beiden als typisch halbgebildete Bürger, wobei – geschlechterrollenadäquat – Mitzi als die Dumme, Fragende und Leonida der Belesene, Informierte und damit Auskunftgebende erscheint. Das es um Leonidas Wissen auch nicht zum Besten bestellt ist, wird im Gespräch deutlich, da er häufig mit klugen - sogar ausländischen - Wendungen annähernd nichts zu sagen in der Lage ist, wenn er sich nicht selbst widerspricht. Das Paar wechselt vom Tisch in die Betten und wird von Lärm aufgeschreckt, den der kluge Leonida als Anzeichen für den Ausbruch der Revolution und sich somit als gefährdet erklärt. Die Sorge verwandelt sich in Panik, als Safta, die Magd (Monika Dandlinger), an der Tür klopft. Nachdem Mitzi die Angst überwunden, die Magd als diese erkannt und ihr die Tür geöffnet hat, erklärt Safta den Lärm mit dem Faschingstreiben auf der Straße. Die Automatenmusik vom Anfang des Stückes hebt an, Safta zieht ihre Herrschaften wie zwei Spieluhren auf und diese beginnen erneut mit ihrem Reigen, von Safta mit schallendem Gelächter beobachtet.
Auch nach Ende des Stückes marschieren die beiden Hauptdarsteller noch wie Maschinenmenschen über die Bühne und verneigen sich mechanisch vor einem begeisterten Premierenpublikum.
Mit diesem Stück präsentierte die Deutsche Abteilung des Radu-Stanca-Theaters einen wohl zeitlosen Ausflug nach Absurdistan, hinein in die Welt der Neunmalklugen, Halbgebildeten und um ihr eigenes Wohl Ach-so-Besorgten. Durch die surreal anmutende Inszenierung kann das Stück trotz der historisch scheinenden Bezüge in den Dialogen – wenn da die Rede ist von der Revolution, von Garibaldi bzw. „Galibardi“ etc. – immer auf seine aktuelle Relevanz gerade in seiner Zeitlosigkeit gelesen werden, was sicher den Reiz dieses Stückes und gerade auch der speziellen Inszenierung in Hermannstadt ausmacht.
Und auch ein Unwissender, der rumänischen Kultur in seiner naiven Unschuld geradezu als Banause Gegenüberstehender, als welcher sich der Rezensent zuweilen fühlt, geht an diesem Abend mit dem Gefühl nach Hause, „eben doch“ etwas verstanden und den Abend durchaus genossen zu haben. Beim flüchtigen Austausch nach dem Stück an der Garderobe und im Foyer überkam den Rezensenten jedoch mehrfach das Gefühl, als habe er die Inszenierung nicht „trotzdem“ genossen, sondern womöglich auch „gerade weil...“!

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