Man spielte den Clavigo ... (2001)
„Man spielte den Clavigo (...). So vortrefflich war die Rollenbesetzung in diesem Stück bis auf die unbedeutendsten Nebenrollen. – Reiser kannte alle diese vortrefflichen Schauspieler – war es wohl zu verwundern, daß seine Erwartung auf das höchste gespannt wurde, aufs neue die Vorstellung eines Stücks von ihnen zu sehen (...)?“ (Karl Philipp Moritz: Anton Reiser). Genau so erging es uns und also warteten wir mit dem Kopf voller Gedanken, dem Herz voller Erwartungen vor dem Musentempel, dessen frisch renovierte Fassade man uns ausgiebig genießen ließ, bis zum Einlaß zur Teilnahme an einem weiteren Kapitel deutscher Kultur in Rumänien, deutsches Theater in Hermannstadt.
Wie es sich für den Bildungsbürger geziemt, hatte man vorher einen Blick in den Schauspielführer bzw. in ein Goethe-Buch geworfen, war also informiert, daß ein Trauerspiel auf dem Programm stand, eine Tragödie ohne „Bösewichter“. Man wußte auch, daß dieses Stück zwar zu Goethes meistgespielten, aber nicht unbedingt zu seinen besten gehört („dichterisch etwas trocken und kalt“; „Mangel an Atmosphäre“; W. Kayser). Die Handlung, na ja, Streit auf Leben und Tod wegen der verlorenen oder doch zumindest als zutiefst beleidigt angesehenen Ehre eines Mädchens, business as usual eben. Der Bruder aus Frankreich eilt auf einen Brief herbei (i.e. nach Spanien), bedroht den ehemaligen Gatten in spe (den Titelheld), sein Versprechen wahrzumachen oder wahlweise größte Schmach oder den Tod zu erleiden, dieser gibt nach und dann wieder doch nicht, die Verratene/Betrogene/Enttäuschte stirbt (aus Verzweiflung und schwachem Herzen), Clavigo erkennt seinen Fehler und läßt sich am Sarge seiner (Ex-)Geliebten von ihrem Bruder tödlich durchbohren, dabei im Sterben diesem dankend. Mit anderen Worten: Eine absurde Geschichte, die dem heutigen Publikum genau soviel zu sagen hat, wie die meisten anderen dramatischen Texte, die auch heute noch zur Pflichtlektüre an den Gymnasien und Universitäten gehören. Der Abend hätte also gut zu einem Trauerspiel werden können, zu einer ernsten und sterbenslangweiligen Angelegenheit.
Zum Glück aber hatten die Verantwortlich dazu keine Lust. Vielmehr ließen sie sich inspirieren von dem Stück und seiner Zeit: Die Perücken und Kleidungsstücke, die affektierte Redeweise, jene unnachahmliche Art des Dahinschreitens. Das Ergebnis war extrem kurzweilig. Man schwadronierte lustig drauflos, spitzbübelte sich von Szene zu Szene und ließ keine Plattitüde ungenutzt davonkommen. Wer Schauspieler mal so richtig schauspielern sehen wollte, der war hier richtig. Da wurde gestöhnt und sinniert, gejammert und geschrien, gegackert und gequiekt. Augen wurden gerollt und Zähne geknirscht, Degen gezogen und großkalibrige Blasinstrumente mißhandelt, daß es eine helle Freude war.
Franz „Clavigo“ Kattesch konnte seine Kobolde frei auf der Schulter tragen und schelmisch vor sich hin deklamieren, so daß jeder Satz seine eigene Verneinung implizierte. Wolfgang „Carlos“ Ernst, von Goethe mit gesellschaftsrelevanter Vernunft ausgestattet, hatte seine liebe Mühe, kühlen Kopf zu bewahren, während seine kokette Bedienstete Irina Deak ihn im Rollstuhl über die Bühne und ihm manchmal auch mit der Hand unter die Weste fuhr. Monika „Sophie“ Dandlinger, die ältere Schwester Mariens, mit ihrem infantilen, immer im falschen Moment Tuba blasenden Ehegatten Roger „Guilbert“ Părvu, die wahrscheinlich seriöseste auf der Bühne, wägte ab und gab Ratschläge. Ruth „Marie“ Köhler, ein hinreißend schrecklich affektiertes Ding, die für sich verbuchen kann, wahrscheinlich den ersten verbalen Orgasmus auf die Hermannstädter Bühnenbretter gebracht zu haben, was dann allerdings auch ihre letzten mehr oder minder artikulierten Laute sind (später heißt es von Sophie an Clavigo: „Ihr letztes Wort war dein unglücklicher Name“). Und Georg „Beaumarchais“ Potzolli, als der Lebe- und wohl auch Edelmann, der er ist, weiß eigentlich gar nicht so genau, was um ihn herum geschieht, findet aber schnell Gefallen an dem blutigen Spiel und seiner Rolle als Retter der Entehrten und natürlich daran, seinen Degen blitzen zu lassen und dramatische Sätze von sich zu geben (allerdings dabei gewaltig mit den Augen zwinkernd, innerlich).
Einen Glückwunsch an das Ensemble, einen Dank an die Regie von Mc Ranin und Renate Müller-Nica für den Mut, ein altvertrautes Stück von IHM gegen den Strich gebürstet und etwas ganz anderes daraus gemacht zu haben. Auch wenn das kritische Auge das eine oder andere finden mag, was vielleicht nicht ganz stimmig ist (warum muß Clavigo doch noch sterben? Denn den Sinneswandel nimmt man ihm in der gekürzten Version nicht ab, damit auch nicht sein Opfer aus Liebe), auch wenn so mancher Miesepeter sich darüber beschweren mag, daß ein Trauerspiel nicht lustig sein soll, Danke noch einmal dafür, daß ihr uns nicht den Abend vergällt, sondern uns auf das Angenehmste vergnügt habt!
Wie es sich für den Bildungsbürger geziemt, hatte man vorher einen Blick in den Schauspielführer bzw. in ein Goethe-Buch geworfen, war also informiert, daß ein Trauerspiel auf dem Programm stand, eine Tragödie ohne „Bösewichter“. Man wußte auch, daß dieses Stück zwar zu Goethes meistgespielten, aber nicht unbedingt zu seinen besten gehört („dichterisch etwas trocken und kalt“; „Mangel an Atmosphäre“; W. Kayser). Die Handlung, na ja, Streit auf Leben und Tod wegen der verlorenen oder doch zumindest als zutiefst beleidigt angesehenen Ehre eines Mädchens, business as usual eben. Der Bruder aus Frankreich eilt auf einen Brief herbei (i.e. nach Spanien), bedroht den ehemaligen Gatten in spe (den Titelheld), sein Versprechen wahrzumachen oder wahlweise größte Schmach oder den Tod zu erleiden, dieser gibt nach und dann wieder doch nicht, die Verratene/Betrogene/Enttäuschte stirbt (aus Verzweiflung und schwachem Herzen), Clavigo erkennt seinen Fehler und läßt sich am Sarge seiner (Ex-)Geliebten von ihrem Bruder tödlich durchbohren, dabei im Sterben diesem dankend. Mit anderen Worten: Eine absurde Geschichte, die dem heutigen Publikum genau soviel zu sagen hat, wie die meisten anderen dramatischen Texte, die auch heute noch zur Pflichtlektüre an den Gymnasien und Universitäten gehören. Der Abend hätte also gut zu einem Trauerspiel werden können, zu einer ernsten und sterbenslangweiligen Angelegenheit.
Zum Glück aber hatten die Verantwortlich dazu keine Lust. Vielmehr ließen sie sich inspirieren von dem Stück und seiner Zeit: Die Perücken und Kleidungsstücke, die affektierte Redeweise, jene unnachahmliche Art des Dahinschreitens. Das Ergebnis war extrem kurzweilig. Man schwadronierte lustig drauflos, spitzbübelte sich von Szene zu Szene und ließ keine Plattitüde ungenutzt davonkommen. Wer Schauspieler mal so richtig schauspielern sehen wollte, der war hier richtig. Da wurde gestöhnt und sinniert, gejammert und geschrien, gegackert und gequiekt. Augen wurden gerollt und Zähne geknirscht, Degen gezogen und großkalibrige Blasinstrumente mißhandelt, daß es eine helle Freude war.
Franz „Clavigo“ Kattesch konnte seine Kobolde frei auf der Schulter tragen und schelmisch vor sich hin deklamieren, so daß jeder Satz seine eigene Verneinung implizierte. Wolfgang „Carlos“ Ernst, von Goethe mit gesellschaftsrelevanter Vernunft ausgestattet, hatte seine liebe Mühe, kühlen Kopf zu bewahren, während seine kokette Bedienstete Irina Deak ihn im Rollstuhl über die Bühne und ihm manchmal auch mit der Hand unter die Weste fuhr. Monika „Sophie“ Dandlinger, die ältere Schwester Mariens, mit ihrem infantilen, immer im falschen Moment Tuba blasenden Ehegatten Roger „Guilbert“ Părvu, die wahrscheinlich seriöseste auf der Bühne, wägte ab und gab Ratschläge. Ruth „Marie“ Köhler, ein hinreißend schrecklich affektiertes Ding, die für sich verbuchen kann, wahrscheinlich den ersten verbalen Orgasmus auf die Hermannstädter Bühnenbretter gebracht zu haben, was dann allerdings auch ihre letzten mehr oder minder artikulierten Laute sind (später heißt es von Sophie an Clavigo: „Ihr letztes Wort war dein unglücklicher Name“). Und Georg „Beaumarchais“ Potzolli, als der Lebe- und wohl auch Edelmann, der er ist, weiß eigentlich gar nicht so genau, was um ihn herum geschieht, findet aber schnell Gefallen an dem blutigen Spiel und seiner Rolle als Retter der Entehrten und natürlich daran, seinen Degen blitzen zu lassen und dramatische Sätze von sich zu geben (allerdings dabei gewaltig mit den Augen zwinkernd, innerlich).
Einen Glückwunsch an das Ensemble, einen Dank an die Regie von Mc Ranin und Renate Müller-Nica für den Mut, ein altvertrautes Stück von IHM gegen den Strich gebürstet und etwas ganz anderes daraus gemacht zu haben. Auch wenn das kritische Auge das eine oder andere finden mag, was vielleicht nicht ganz stimmig ist (warum muß Clavigo doch noch sterben? Denn den Sinneswandel nimmt man ihm in der gekürzten Version nicht ab, damit auch nicht sein Opfer aus Liebe), auch wenn so mancher Miesepeter sich darüber beschweren mag, daß ein Trauerspiel nicht lustig sein soll, Danke noch einmal dafür, daß ihr uns nicht den Abend vergällt, sondern uns auf das Angenehmste vergnügt habt!
Ambulito - 3. Jun, 17:55