Vermischtes

Samstag, 9. März 2013

Schnitt - Wendepunkt - Alles auf neu

So, es wird Zeit. Ganz klar und keine Frage. Bevor es zu spät ist. Also ab dafür.

Sonntag, 3. Juni 2007

Von der Idee, Fußballprofi zu werden

Es war neulich, da ist etwas Seltsames passiert. Ich saß vor dem Fernseher, trank ein Glas Rotwein und schaute einem Fußballspiel zu. Auf einmal durchfuhr mich ein seltsamer Gedanke: Ich wollte Fußballprofi werden. Wer mich kennt, der wird sich wohl wundern und meinen, jetzt hätte ich vollkommen den Verstand verloren. Außerdem sei es mit 35 Jahren ja vielleicht auch schon ein bisschen spät für solche Pläne. Klar, zunächst einmal klingt das wirklich ziemlich weltfremd und komisch. Andererseits wissen die alle ja nicht das, was ich weiß. Während ich dem bunten Treiben auf dem Rasen zusah und mir alle möglichen und unmöglichen Einwände in den Sinn, wurde ich immer überzeugter, dass ich wahrscheinlich ein großartiger Fußballprofi wäre und längst auf dem Zenit meiner Fußballprofi-Karriere stehen würde. Wenn nicht, ja wenn nicht ein entschiedenes Hindernis diese traumhafte Laufbahn bereits im Ansatz zunichte gemacht hätte. Seit meinem achten Lebensjahr habe ich nämlich eine Brille, und war dieses untrügliche Zeichen meiner Behinderung anfangs noch ein Grund dafür, sich zu schämen, so habe ich mich doch im Laufe der Jahre, fast schon Jahrzehnte daran gewöhnt. Eigentlich ist es mehr als das, die Brille ist ein Teil von mir geworden. Und genau so, wie man nicht mutwillig die Hand auf die Herdplatte oder den Fuß unter die Straßenbahn legt, genau so habe ich mich immer dagegen gewehrt, diese meine Brille in die Flugbahn eines kraftvoll beschleunigten Lederballs zu halten. Und das, seit ich die Brille ohne Unterbrechung und von morgens bis abends trage. Abgerechnet das halbe Schamjahr also ungefähr seit meinem neunten Lebensjahr. Mit anderen Worten: Bei allen Gelegenheiten, da ich an Fußball-Veranstaltungen teilnahm, und für einen Jungen in einer Schulklasse mit neun anderen Jungs gibt es da einige, war ich ein hoffnungsloser Fall und ständig Zielscheibe von bösen und gemeinen Bemerkungen. Apropos Zielscheibe: Da ich auch nicht gerade schnell laufen konnte oder wollte und überdies der Längste in der Klasse war, stand ich natürlich im Tor. Und jedes Mal gab es da während diverser Fußballturniere Augenblicke, wo ich mit Stolz an die große Verantwortung dachte, die ich von meinen Mitschülern übertragen bekommen hatte. Dann stand ich da mit geschwellter Brust und erhobenen Hauptes und genoss dieses Gefühl, der wichtigste Mann auf dem Platz, oder doch einer von zweien, zu sein. Leider endete dieses Gefühl jedes Mal abrupt und grausam in dem Augenblick, in dem sich ein gegnerischer Spieler mit dem Ball vor unser Tor verirrte und meistens – ich formuliere es mal so – den Ball auch an mir vorbei hineinbugsierte. Ich weiß nicht, ob es stimmt, was meine Kameraden mir dann hinterher vorwarfen, ich weiß wirklich nicht, ob ich dem Ball jedes Mal ausgewichen bin. Woran ich mich aber erinnern kann, war der Augenblick, wenn ich den Ball nach dem gegnerischen Tor wieder ins Spielfeld bringen durfte. Hier liegt auch der entschiedene Vorteil des Torwartes. Er nämlich ist der einzige, der während des Spiels in Ruhe den Ball schießen kann, und zwar nachdem er ihn aus dem eigenen Netz gefischt hat.
Ich widmete mich dann anderen Dingen. Beim Küssen, so hatte ich mich bemerkt, ist eine Brille nämlich keineswegs hinderlich, sondern eröffnet einem an einem gewissen Punkt Möglichkeiten, die den ballschießenden Mitjungs eindeutig nicht gegeben waren. Schließlich war die Schulzeit noch die Periode, wo Mädchen der Überzeugung sind, dass brillentragende Jungen die besseren Küsser sind. Hat vielleicht damit zu tun, dass Brillenträger weniger Sport treiben, also mehr lesen, also zartfühlender und empfindsamer sind. Dass sie auch unsportlicher sind, ist ja in dem Alter noch kein so großes Problem.
So habe ich dann die nächsten zweieinhalb Jahrzehnte verbracht, lesend und küssend. Es war bestimmt eine schöne Zeit, die ich auch nicht missen möchte, doch jetzt, so wurde es mir vor dem Fernseher bewusst, jetzt ist die Zeit für Veränderungen, und zwar solche radikaler Art.
Mir war vollkommen klar, dass alles nur an meiner Brille lag. Die Trennung von ihr viel mir nicht allzu schwer, da mein Versuch, als Intellektueller reich und berühmt zu werden, auch nicht wirklich erfolgreich war. Gut, das mit dem Küssen war etwas anderes. Ich bin, wie soll ich sagen, in diesem Bereich schon zu Ruhm und Ehre gekommen, hatte mittlerweile sogar eine wunderschöne und obendrein noch über alle Maßen intelligente Ehefrau. Trotzdem fehlte mir etwas, und zwar so was, wo ich mich noch beweisen könnte, als Mensch und als Mann als solcher. Was läge da näher als der Fußball? Die Sache meiner Frau zu erklären schien mir hoffnungslos, also ließ ich es und ging einfach so zu meinem Optiker um mir endlich Haftschalen für die Augen zu beschaffen. Als ich diese dann abholte fühlte ich mich bereits wie ein neuer Mensch. Auf einmal sah ich die Welt ohne Rahmen, ohne Begrenzung. Allerdings muss ich gestehen, dass damit auch einige andere Dinge wegfielen. Ich hatte ja gelernt, dass alles, was sich innerhalb eines Rahmens befindet, auch irgendwie zueinander in Beziehung steht und somit im Zusammenspiel auch einen gewissen Sinn darstellt. Das fiel jetzt auf einmal weg! Mit anderen Worten: Alles was ich sah machte auf einmal keinen Sinn, überhaupt keinen Sinn mehr. Wohin ich auch schaute, die Welt war für mich sinnlos und vollkommen unverständlich geworden. Es dauerte nicht allzu lange bis zu dieser Erkenntnis und sie traf mich völlig unvorbereitet. Ich setzte mich auf die nächste Bank und schloss die Augen. Das mein neues Leben ein komplett anderes werden würde, das war mir vorher bereits klar gewesen. Aber das sich auf einmal auch mein Alltag und überhaupt alles verändern würde, darauf war ich nicht gefasst. Ich dachte an meinen Masterplan, die Idee, ein Fußballprofi zu werden und ich fragte mich, ob ich jetzt überhaupt noch in der Lage sein würde, konsequent und ohne Zögern mein Leben umkrempeln und das feindliche Tor erstürmen zu können. Blinzelnd und augenreibend ging ich nach Hause und setzte mich schwer aufs Sofa in unserem Wohnzimmer. Plötzlich stand meine süße Frau in der Tür und fragte, was denn mit mir los sei. Ich sah sie an, etwas zaghaft und vorsichtig und da stand sie. Ich erhob mich vom Sofa, ging auf sie zu, nahm sie in meine Arme und küsste sie lang und innig und auf einmal, da in unserem Türrahmen, genau zwischen Wohn- und Schlafzimmer, machte alles auf einmal und endgültig wieder Sinn.

Großstadtgeschichte 1 (2003)

Gestern abend hab’ ich wohl mal wieder den Mund etwas zu weit aufgerissen. Aber wer konnte auch ahnen, wo das hinführen würde.
Ich saß auf meinem Balkon, wohlverdient die friedliche Stimmung nach getanem Tagwerk und erledigter Arbeit genießend, dabei der Sonne bei ihrem Lauf Richtung Horizont und Untergang zusehend. Leise sog ich an meiner letzten Zigarette (der mittlerweile fünften in diesem Monat), eines dieser modischen Erfrischungsgetränke in der Hand. Da sah ich, wie meine Nachbarin von gegenüber ihren Balkon präparierte: Kerzen wurden aufgestellt und illuminiert, zwei Weingläser inklusive Rotweinflasche (geöffnet, wg. Blume) auf den mit unifarbener Tischdecke bereits veredelten Klapptisch postiert, Teller und Besteck, Ascher und Blumenvase in bewährter Manier drapiert. Die Nachbarin selbst mit weißer Bluse und schickem Beinkleid dazu angemessen gewandet. Ich schaute mir das Treiben eine Weile an, dann rief ich hinüber: „Spar Dir die Arbeit. Er kommt nicht, ich habe ihn heute nachmittag mit einer anderen gesehen!“ Ich hab’ mir ehrlich gesagt nicht allzu viel dabei gedacht, folgte damit nur einer spontanen Eingebung. Meine Nachbarin blickte auf, wie vom Donner gerührt, mich dabei zum ersten Mal bemerkend und rief rüber: „Sag’ das nochmal!“
Nun muss man vielleicht anmerken, dass unsere Straße nicht eine der meistbefahrenen ist, eher sogar einen recht ruhigen Verkehrsweg darstellt. Schmal ist sie dabei dennoch nicht, und S- wie Autobahn tragen zu einem permanenten Pegel von spürbarer Intensität nicht unwesentlich bei. Jedenfalls reicht ein Flüstern oder Normalsprechen eindeutig nicht aus, wenn man quer über die Straße von Balkon zu Balkon Konversation treibt. Das hatte ich jedenfalls gemerkt, als ich versuchte, mein doch etwas weites Aus-Dem-Fenster-Lehnen wieder rückgängig und am besten gleich vergessen zu machen. Ging aber nicht, also wiederholte ich meine Aussage, worauf sie erst laut fluchte, dann über den Aufwand des Essenkaufens und -zubereitens lamentierte, und schließlich, quasi als Klimax dieser Nervenkrise, darauf bestand, dass ich dann aber wenigstens an Stelle des treulosen Thomas (sozusagen) ihr neuer Tisch- und nicht nur Balkonnachbar werden müsse. Gesagt, getan, vorher rief sie mir kurz noch ihren Namen zu, damit ich die richtige Klingel fände.
Na ja, viel Spaß hatte ich an dem Abend nicht. Auch wenn ich meine Geschichte inzwischen selbst geglaubt hatte, kam der ursprünglich geladene Gast, der wirklich Thomas hieß und im übrigen ihr langjähriger Verlobter und ein wirklich anständiger Kerl war, dann doch noch mit einer kleinen Verspätung (der Berufspendler war im Stau steckengeblieben) an. Mir hat er fast überhaupt nicht weh getan.
Ich bin dann ohne Abendbrot direkt schlafen gegangen. Den Balkon werde ich untervermieten.

(Love and...) Die Liebe und die Beutelschneiderei (...can’t get one without the other!) (2002)

Endlich ist er da, der Frühling. Die Sonne wärmt uns die Kopfhaut und das Herz, die Hormone und die Stimmung steigen und so mancher wird tollkühn. So ist auch dem Verfasser dieser Zeilen ergangen, allerdings begann das Abenteuer bereits vor einiger Zeit. Wohl in einem Moment geistiger Umnachtung entschloss er sich, in Rumänien den heiligen Bund der Ehe zu schließen. Das es nicht einfach ist, den richtigen Menschen fürs Leben zu finden und die Liebe wachsen und gedeihen zu lassen, ist sicherlich richtig, doch davon soll hier keineswegs die Rede sein. Hier geht es vielmehr um die wahnwitzige Kühnheit, den todesverachtenden Mut, den es braucht, um die Hindernisse aus dem Weg zu schaffen, die einem von hochoffiziellen Stellen zwischen die Beine und vor den Gang zum Standesamt geworfen werden. Hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß, dann ich weiß nicht, ob ich noch einmal den Mut und die Kraft aufbringen würde, es zu tun. Werfen wir aber zunächst einen Blick zurück: Zwei Menschen, einer Deutscher, einer Rumäne (dabei heterosexuell) entschließen sich zu heiraten. Der Deutsche informiert sich bei seiner Landesvertretung und erfährt dort, was er benötigt: Zuallererst ein sogenanntes Ehefähigkeitszeugnis. Das er fähig ist, weiß er und wurde ihm mehrfach (will nicht angeben und sagen: allabendlich) von seiner Partnerin bestätigt, doch das tut hier nichts zu Sache. Es gehe vielmehr darum zu beweisen, dass man weder verwandt noch verschwägert sei mit seiner Zukünftigen und auch nirgendwo sonst eine Ehefrau hat. Dafür benötigt man: Von der Zukünftigen eine Internationale Geburtsurkunde, die vom Rumänischen Außenministerium mit beglaubigt ist oder, wie der Fachmann sagt, mit einer Apostille (schon mal gehört?) versehen ist. Hört sich einfach an, doch wer hat schon einmal mit einer großen Rumänischen Behörde zu tun gehabt? Dann braucht man noch eine Abschrift aus dem elterlichen Familienstammbuch und seine eigene Geburtsurkunde. Außerdem braucht man für das Ehefähigkeitszeugnis eine Ledigkeitserklärung der Zukünftigen, welche diese aber nur vor einem rumänischen Notar machen darf. Das ist aber wohl nicht immer so, denn häufig würden solche Erklärungen auch beim Konsulat gemacht und beim deutschen Standesamt akzeptiert. Das Standesamt des Verfassers hat dieses nicht anerkannt, was er zum Glück vor seiner Reise nach Deutschland erfahren konnte. Das deutsche Standesamt hat sich dann als freundliche, aber nicht immer sofort hilfsbereite Behörde erweisen. Stolz alle Unterlagen präsentierend zeigte der deutsche Beamte auf die Internationale Geburtsurkunde der Zukünftigen und meinte trocken: „Das müssen Sie aber noch übersetzen lassen!“ Als der Verfasser darauf hinwies, dass es sich doch um ein internationales Dokument handele, was dreisprachig verfasst sei, ließ er sich erweichen und verstand schließlich auch.
Mit dem Ehefähigkeitszeugnis kommt man also stolz aus Deutschland zurück und geht zum Rathaus, um sich nach weiteren Papieren zu erkundigen. Da heißt es dann: Die Geburtsurkunde im Original, als beglaubigte Kopie und mit notarieller Übersetzung. Klingt auch erst einmal einfach, doch erfährt man beim ersten Notar, dass ein rumänischer Notar keine beglaubigte Kopie einer ausländischen Urkunde anfertigt (oder anfertigen kann oder darf). Mit Hilfe des Rathauses findet man aber schließlich einen Notar, der keine Skrupel hat und die Kopie beglaubigt. Dann benötigt man eine Erklärung des Konsulats, dass keine Bedenken vorliegen und man heiraten dürfe. Für diese Erklärung sollte man jedoch auf keinen Fall nur seinen Personalausweis zu Identifizierung bei der deutschen Behörde mitbringen, weil das von der rumänischen nicht akzeptiert wird. Das bedeutet ein weiterer Weg. Als nächstes braucht man dann noch seinen Reisepass und eine Kopie davon, seltsamerweise ohne Beglaubigung! Die Zukünftige muss in der Stadt (bzw. in dem Kreis) gemeldet sein, in dem man heiraten möchte, sonst geht es nicht. Wenn es keine guten Freunde gibt, die da aushelfen, sieht es schlecht aus, denn welcher Vermieter ist so ohne weiteres bereit, einen weiteren Mieter anzumelden? Gottseidank gibt es ja die guten Freunde und ein „Visa de Flotant“ ist beschafft.
Damit ist der Kreuzweg aber noch lange nicht zu Ende, denn jetzt wird es richtig spannend: Das rumänische Gesetz verlangt Gesundheitszeugnisse von den zukünftigen Eheleuten. Diese dürfen zum Zeitpunkt der Hochzeit nicht älter als 14 Tage sein, somit bleibt nicht viel Zeit. Im Gesundheitszeugnis wird bestätigt, dass das Ehepaar in spe weder syphilitisch noch tuberkulös ist. Dafür muss man zum staatlichen Krankenhaus, eine spezielle Stelle, die auch gar nicht so einfach zu finden ist. Sobald dort aber ein Ausländer auftaucht, kommt für kurze Zeit Leben in die sonst eher scheintot wirkenden Gestalten. „Haben Sie schon bezahlt?“ schallt es dem verliebten Ausländer entgegen, und nach erneuter Suche und dem Aufscheuchen mehrerer mürrischer und gerade bei der Brotzeit befindlicher Damen in ihrem Büro zahlt der rumänische Teil seine 10.000 Lei Gebühren, der ausländische Teil 1.000.000 Lei. Was? Na ja, so ist es nun mal. Man kehrt zurück, erhält Formulare und sucht sich Stellen, wo die Untersuchungen gemacht werden können. Für die Lungenaufnahme gibt es leider nur eine staatliche Stelle in Hermannstadt, die Blutuntersuchung macht aber auch eine private Klinik. Am nächsten Tag in aller Früh und mit nüchternem Magen geht es dann zuerst zum Aderlass. Dort ist man freundlich und professionell bei der Arbeit, die Ergebnisse können am selben Tag abgeholt werden, und die Kosten sind überschaubar (55.000 Lei für jeden). Bei der Lungenklinik ertönt unfreundlich die bekannte Frage: „Haben Sie schon bezahlt?“ und nach Vorlage der Quittung wird es auch nicht freundlicher, da man nur in der Polyklinik, nicht aber in der Lungenklinik bezahlt hat. Dort dann wieder die übliche Prozedur, einmal 10.000 Lei, einmal 1.000.000 und etwas Lei, anschließend geht es wieder hinein in die folterkammerartigen Gewölbe der Röntgenklinik. Die Frau, welche die Aufnahme macht, ist dann überraschend nett, was den Verfasser zu der Überzeugung bringt, das alle staatlichen Angestellten, Sekretärinnen und Vorzimmerdamen monatlich mindestens zweimal geröngt werden sollten, da Röntgenstrahlen offensichtlich menschlicher machen.

Von der (fröhlichen) heiligen Wissenschaft (2002)

Eines Tages setzte der Vater sich zu seinem Kinde und begann zu erzählen: „Liebes Kind, lass mich Dir heute einmal von etwas ganz besonders Wichtigem für uns alle erzählen: Ich möchte Dir von der Wissenschaft berichten. Da beschäftigen sich grundanständige und intelligente Menschen mit allem, was uns so umgibt, mit der Natur, mit der Konstruktion von Brücken und Kanalisationen, mit der Entwicklung von Textilien und speziellen Lebensmitteln, mit fremden Sprachen, mit Literatur, der Geschichte und unseren Körpern und den dazugehörenden Krankheiten. Die Leute, die sich da den ganzen Tag mit Büchern und Forschungen auseinandersetzen sind neutral, unparteiisch, eben wissenschaftlich. So heißen sie auch: Wissenschaftler. Diese Menschen findet man vor allem in der sogenannten Hochschule oder – ein anderer Name – Universität. Da treffen sie sich, dort arbeiten sie und dort machen sie noch etwas ganz Wichtiges: Sie kümmern sich um die schlausten jungen Menschen unseres Landes, erzählen ihnen alles, was sie wissen und selbst gelernt haben. So können diese jungen Menschen später wichtige Aufgaben in unserem Land übernehmen, oder selber Wissenschaftler werden und wiederum den Nachwuchs ausbilden. Weil diese jungen Menschen für unsere Zukunft ganz besonders wichtig sind, werden sie mit Hochachtung und Respekt behandelt. Sie müssen schließlich viel lernen, um unser Land zu führen und später in ihren wichtigen Positionen Bedeutendes leisten.“
Am nächsten Tag unternahm der Sohn einen Spaziergang mit seiner Tante (die an der Universität arbeitete) und kehrte verwirrt zu seinem Vater zurück. „Vater, hast Du mich gestern angelogen? Alles, was ich bei der Tante gesehen habe, war ganz anders als Du gesagt hast! Die Universität war sehr schön anzusehen, ein altes und vornehmes Gebäude, aber dann hat mir die Tante erklärt, dort sei nicht die Universität, sondern dort säße der Chef und die vielen vielen Männer und Frauen, die mit dem Geld der Universität beschäftigt seien. Die Tante erklärte mir auch, dass sie in das alte Gebäude selbst nicht so einfach hineinkönne, sondern eine spezielle Karte brauche oder einen Termin. Die Universität war dann auf der anderen Seite und auch ganz schön. Aber wieder musste ich mich doch wundern, denn wir durften nicht durch den schönen Eingang gehen. Der war nämlich abgeschlossen und nur wichtige, also ganz wichtige Leute (meistens Männer) dürften da hindurchgehen, erklärte mir die Tante. Wir, und auch die vielen Studenten mussten eine kleine schäbige Hintertür benutzen. Das war eng dort! Die Räume, in denen die Studenten saßen, waren ganz kalt und die Möbel waren alt und wackelig. Ganz anders als in dem schönen Haus, wo ich dann doch noch mit der Tante hingehen musste. Dort war es schön warm und gemütlich, die Leute hatten tolle Möbel. Und was das Komischste war: Genau so streng und unfreundlich wie die Tante vorher mit den Studenten sprach, so sprachen die Leute dort mit der Tante. Richtig unfreundlich waren die. Als wir zurückgingen, erzählte mir die Tante noch etwas, was so ganz anders war, als was Du mir gestern beschrieben hast. Sie sagte nämlich, dass die meisten Studenten hinterher weggehen würden aus unserem Land und woanders ihr Glück versuchten. Die Studenten aber, die hier bleiben, wollen am liebsten für den Chef irgendeiner ausländischen Firma Kaffee kochen, weil sie da mehr verdienen würden. Anständig sind die wichtigen Leute dort aber. Da hast Du mich nicht belogen, Vater! Als ich mit der Tante nämlich wieder in ihrem Büro war, hatte ich ein bisschen Zeit (die Tante musste arbeiten) und da habe ich ein Buch gefunden mit allen, die dort arbeiten. Und Ich habe nämlich herausgefunden, dass fast alle Namen von den wichtigen Leuten (das sind die, die ihr Büro in dem schönen Haus haben) noch einmal irgendwo auftaucht. Schließlich haben die ja alle eine Frau oder ein Kind, die ebenfalls Geld verdienen müssen. Das verstehe ich gut.
Trotzdem glaube ich, dass ich nicht so gerne Wissenschaftler werden möchte, wie ich Dir gestern Abend noch gesagt habe. Lieber werde ich Sekretärin. Die werden nämlich viel besser behandelt und frieren müssen die auch nicht. Und außerdem verdienen die auch viel mehr Geld, hat mir die Tante gesagt!“
Der Vater nimmt noch einen kräftigen Schluck aus der inzwischen fast geleerten Flasche, beugt sich zu seinem Kind und sagt: „Das hast Du alles ganz falsch verstanden. Wahrscheinlich bist Du doch noch zu klein dafür!“ und schickt es schnell zu Bett, bevor er eine neue Flasche öffnet.

Augen auf im Straßenverkehr! oder: Völker, hört die Signale ... der Autos! (2002)

Neulich beim Spaziergang durch Hermannstadt stand ich an einer Ampel und wartete auf grünes Licht. Da hörte ich schon von weitem eine sehr laute Autosirene heulend immer näherkommen. Mir war klar: Irgendein großer und vor allem wichtiger Mann ist unterwegs von A nach B. Denn in Rumänien hält sich noch immer die gute alte Tradition, die Straße großzügig frei zu räumen wenn irgendein Herr Großkopf mal wieder unterwegs ist (dieses Schicksal hat mich einmal auf dem Weg nach Bukarest erreicht und fast in den Graben katapultiert). Vielleicht sollten auch Politiker den Führerschein machen, dachte ich bei mir, dann würden die Normalsterblichen (was sie leider zu oft sind) nicht auf diese Weise belästigt.
Jedenfalls stand ich also da und wartete auf die Limousine, es kam aber ... ein Krankenwagen! Da wurde mir bewusst, dass sich einiges verändert in diesem Lande, oder zumindest in dieser Stadt. Normalerweise waren ja die Krankenwagensirenen die leisesten und unscheinbarsten im ganzen Lande und die lautesten waren...na, wie gesagt. Deutlicher kann man das Verhältnis eines Staates zu seinen Bürgern wohl kaum zum Ausdruck bringen. So werden die Prioritäten in jedem Lande anders gesetzt. Aber langsam scheint man sich nun bewusst zu werden, dass doch eigentlich das Volk (hat man dieses Wort nicht lange genug in Großbuchstaben geschrieben?) wichtig ist und menschenwürdige Lebensumstände das Minimum sind, das es erwarten kann. Ich will aber nicht predigen, das können andere besser (die verdienen sogar ihr Geld damit).
Überhaupt scheint die Straße ein Spiegel der Gesellschaft zu sein (spannend ist z.B. die Frage, wer wo parken darf). Manchmal aber empfiehlt es sich, mehrmals und genauer hineinzuschauen. Ein Beispiel: Auf den ersten Blick drängt und drängelt es von allen Seiten auf den Straßen und alle wollen immer die Ersten sein, an der Ampel, beim Einbiegen, beim Überholen. Das ist natürlich manchmal auch gefährlich, aber meistens geht es überraschend gut aus. Für jemanden, der sein Autofahrerdasein vorwiegend auf deutschen Straßen ausgelebt hat, ist der Verkehr hier zunächst nur mit ständigem Zähneknirschen und einem großen Vorrat an Nicht-Zitierfähigem zu ertragen. Mir standen beim Fahren eigentlich immer die Haare zu Berge angesichts der Respektlosigkeit, mit der anderen Autofahrern (und eben auch mir) begegnet wurde. Aber, und hier sollten Sie sich eine bedeutungsschwere Pause denken (vielleicht mal kurz aus dem Fenster gucken oder Ihr Glas nachfüllen), aber die Dinge sind nicht immer was sie scheinen, nicht alles, was Gold ist glänzt und wer einem anderen eine Grube gräbt, braucht noch lange kein Totengräber zu sein. Jedenfalls habe ich kürzlich eine für mich folgenschwere Entdeckung gemacht: Niemand regt sich auf! Egal, wie grob die Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung sind und gleichgültig auch, wie sehr um des eigenen Vorteils willen gedrängelt und gedrückt wird, gleichmütig nehmen die übrigen Autofahrer es hin. Sie bremsen ab, weichen aus, warten, ohne mit der Wimper zu zucken. Und wir alle wissen, dass die wenigsten Menschen auf diesem Breitengrad „Pokerface“ genannt werden können und dass es häufig hoch her geht, auch in aller Öffentlichkeit, manchmal ohne Rücksicht auf Verluste.
Im Straßenverkehr aber herrscht Gleichmut und Ruhe auf den Gesichtern, zumindest was das Verhältnis zu den anderen Verkehrsteilnehmern angeht (wenn der Ehepartner im Auto sitzt, kann es dort durchaus laut zugehen, aber das ist ein anderes Kapitel). Ganz im Unterschied zum Westen, muss ich gestehen. Da ist alles vordergründig ordentlich und akkurat im Verkehr, aber wehe, wenn da jemand auch nur den kleinsten Vorteil für sich nutzt. Da wird geschimpft, gehupt und mit der geballten Faust geschüttelt, das es (k)eine Freude ist. Hier dagegen, wie gesagt, nonchalantes Laissez-faire. Zaghaft habe ich jetzt auch schon mal ein wenig gedrückt und gedrängelt, allerdings mit schlechtem Gewissen. Als sich dann wirklich keiner aufregte, bin ich mutiger geworden. Mittlerweile bin aber wieder ein anständiger Autofahrer und drängele nicht, lasse andere sogar vorbei. Warum? Na ja, in der Regel und fast immer ist man hier gleichmütig und freundlich im Straßenverkehr. Neulich aber hat mich – nach gewissen Querelen - ein Autofahrer kurz vor der Ampel rechts überholt, ist ausgestiegen und hat mir seinen Baseballschläger gezeigt. Da war ich dann doch beeindruckt und habe gemerkt, dass ich noch vieles lernen muss.

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