Die neue Nora ist in die Jahre gekommen (2004)
Es war einmal eine junge Frau, die lebte mit ihrem Mann und ihren drei Kindern zusammen in einem Haus. Weil sie durch einen kleinen Betrug vor Jahren ihrem Mann das Leben gerettet hatte, ist sie jetzt in Schwierigkeiten. Weil ihr Mann diese ihre Hilfe nicht als solche ansieht und die Ehe von Nora und ihrem Mann ohnehin eine seltsame ist und weil das Leben einer Frau in der von Männern dominierten Welt ohnehin nicht leicht ist, verlässt sie ihn schließlich. Gründe hat sie genug.
Das ist in etwa die Handlung des Stückes „Nora (Ein Puppenheim“ von Henrik Ibsen, das am vergangenen Samstag im Hermannstädter Radu Stanca Theater von dem jungen Regisseur Radu-Alexandru Nica präsentiert wurde.
Das Publikum beendete den Premierenabend mit lang anhaltendem Applaus und stehenden Ovationen und in der Tat: Es war eine kurzweilige Inszenierung, die auf intelligente Art das Publikum bei Laune hielt.
Dem Regisseur stand bei seiner teilweise formal mutigen Inszenierung ein junges und spielfreudiges Ensemble zur Seite, das durchweg überzeugte.
Der Versuch der Regie, andere Wege zu gehen, ließ sich bereits vor Beginn des Stückes ahnen. So wurde – zur Einstimmung – dem Publikum beim Einlass und vor Beginn des Stückes mittels Videoprojektion eine Umfrage zum zwischenmenschlichen Miteinander präsentiert. Das minimalistische Bühnenbild, karge klinisch-weiße Wände mit dünnen, roten Strichen (angedeutete Blutspuren?) und im Hintergrund drei schmale Ausgänge - der mittlere als einziger mit Tür, der Zugang zum Büro des Ehegatten – wies ebenfalls in diese Richtung.
Die radikale Kürzung des Textes bewirkte eine interessante Zuspitzung der im Stück angelegten Konflikte, was durch verschiedene Einfälle der Regie noch verstärkt wurde. So wurde das gesamte Stück von sich wiederholenden, musikalischen Phrasen begleitet, und auch die Popmusik erhielt ihren Raum. Und um das grundlegende Problem – die Schwierigkeiten der Kommunikation – deutlich zu machen, sprachen die Darsteller niemals zueinander, sondern immer in verschiedene Richtungen. Durch die Kürzung des Textes wurden die Personen in der Ausmalung ihrer Charaktere schablonenhaft skizziert. Der Verlust der Mehrdimensionalität war die Folge, was aber perfekt ins Konzept der Inszenierung passte.
Insgesamt führten diese Ideen und Einfälle zu einer kurzweiligen und modernen Aufführung.
Inhaltlich war diese Inszenierung jedoch leider alles andere als modern.
Wir erinnern uns noch einmal an das Stück von Ibsen (das übrigens von dem ersten deutschen Übersetzer in „Nora (Ein Puppenheim)“ umgetitelt wurde): Nora ist eine junge Frau, die ihr Schicksal in die Hand nimmt und ihren Mann verlässt, da ihr das Leben an seiner Seite unerträglich ist. Bei Ibsen verlässt Nora das Haus. So endet das Stück. In Hermannstadt verharrt Nora mit den Koffern in der Hand, als ihre Tochter in der Tür erscheint. Das Stück endet. Die Eindeutigkeit Ibsens ist aufgehoben, der Befreiungsakt der emanzipierten bzw. sich emanzipierenden Frau ebenfalls. Und überhaupt ist die hiesige Nora in keinem Augenblick die emanzipierte Frau. Sie ist vielmehr das Weibchen, das sexy durchs Haus schwebt, bei jeder Gelegenheit die Strumpfbänder aufblitzen lässt und ihren Körper genau dann einsetzt, wenn es eben opportun ist. Ist das die Rückkehr zu den alten Werten, wo die Frau sich noch um den Haushalt, die Kinder und den Hormonhaushalt des Ehemannes zu kümmern hatte? Das Ende zumindest passt hinein.
Es gibt auch noch ein anderes Problem in der Inszenierung, ein logisches: Denn eigentlich hat Nora kein Motiv mehr, ihren Mann zu verlassen. Zugegeben, es gibt ein Kommunikationsproblem zwischen Nora und ihrem Mann, der sie überdies nicht anders behandelt als ein kleines, niedliches Lustobjekt, ein Püppchen für sein Puppenheim. So war es zumindest bei Ibsen. Im Radu Stanca Theater gibt es jedoch kein spezielles Problem zwischen Nora und ihrem Mann. Alle, wirklich alle Protagonisten haben Schwierigkeiten mit der Kommunikation. Niemand spricht zum anderen von Angesicht zu Angesicht, alle sprechen irgendwohin. Alle in dieser „Puppenwelt“ kommunizieren nicht miteinander, eher gegeneinander oder nebeneinander. Puppen, Schablonen, Klischees sind überdies alle miteinander, auch Torvald, Noras Mann. Warum also sollte Nora ihn verlassen? In dieser Welt, in der nicht miteinander gesprochen wird, gibt es keinen Grund, seinen Lebenspartner wegen Kommunikationsproblemen zu verlassen. Ohnehin wirkt Nora nicht sehr überzeugt, wenn sie unbeweglich da steht und mehrmals sagt: „Ich möchte weg!“
So verlässt der Zuschauer das Theater nach einer unterhaltsamen Aufführung und kann zufrieden feststellen, dass alles in Ordnung ist: Die Frau erinnert sich im Angesicht ihres Kindes an ihre weiblichen Pflichten, und wird sich weiterhin mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln – inklusive halterloser Strümpfe – durchschlagen. Ansonsten gibt es Schwierigkeiten mit der Kommunikation, weil es aber allen so ergeht, ist es auch nicht weiter tragisch. So what?©
Lieber Regisseur: Mach’ bitte weiter so in Deinen Inszenierungen. Gib uns ein anderes, ein neues Theater, denn das ist es, was wir wollen. Doch bitte bitte versuch’ nicht, uns hinterrücks die Werte der Altvorderen wieder einzutrichtern. Und mache nicht aus einem modernen Stück den Lobgesang auf alte Werte, denn das brauchen wir ganz bestimmt nicht!
Das ist in etwa die Handlung des Stückes „Nora (Ein Puppenheim“ von Henrik Ibsen, das am vergangenen Samstag im Hermannstädter Radu Stanca Theater von dem jungen Regisseur Radu-Alexandru Nica präsentiert wurde.
Das Publikum beendete den Premierenabend mit lang anhaltendem Applaus und stehenden Ovationen und in der Tat: Es war eine kurzweilige Inszenierung, die auf intelligente Art das Publikum bei Laune hielt.
Dem Regisseur stand bei seiner teilweise formal mutigen Inszenierung ein junges und spielfreudiges Ensemble zur Seite, das durchweg überzeugte.
Der Versuch der Regie, andere Wege zu gehen, ließ sich bereits vor Beginn des Stückes ahnen. So wurde – zur Einstimmung – dem Publikum beim Einlass und vor Beginn des Stückes mittels Videoprojektion eine Umfrage zum zwischenmenschlichen Miteinander präsentiert. Das minimalistische Bühnenbild, karge klinisch-weiße Wände mit dünnen, roten Strichen (angedeutete Blutspuren?) und im Hintergrund drei schmale Ausgänge - der mittlere als einziger mit Tür, der Zugang zum Büro des Ehegatten – wies ebenfalls in diese Richtung.
Die radikale Kürzung des Textes bewirkte eine interessante Zuspitzung der im Stück angelegten Konflikte, was durch verschiedene Einfälle der Regie noch verstärkt wurde. So wurde das gesamte Stück von sich wiederholenden, musikalischen Phrasen begleitet, und auch die Popmusik erhielt ihren Raum. Und um das grundlegende Problem – die Schwierigkeiten der Kommunikation – deutlich zu machen, sprachen die Darsteller niemals zueinander, sondern immer in verschiedene Richtungen. Durch die Kürzung des Textes wurden die Personen in der Ausmalung ihrer Charaktere schablonenhaft skizziert. Der Verlust der Mehrdimensionalität war die Folge, was aber perfekt ins Konzept der Inszenierung passte.
Insgesamt führten diese Ideen und Einfälle zu einer kurzweiligen und modernen Aufführung.
Inhaltlich war diese Inszenierung jedoch leider alles andere als modern.
Wir erinnern uns noch einmal an das Stück von Ibsen (das übrigens von dem ersten deutschen Übersetzer in „Nora (Ein Puppenheim)“ umgetitelt wurde): Nora ist eine junge Frau, die ihr Schicksal in die Hand nimmt und ihren Mann verlässt, da ihr das Leben an seiner Seite unerträglich ist. Bei Ibsen verlässt Nora das Haus. So endet das Stück. In Hermannstadt verharrt Nora mit den Koffern in der Hand, als ihre Tochter in der Tür erscheint. Das Stück endet. Die Eindeutigkeit Ibsens ist aufgehoben, der Befreiungsakt der emanzipierten bzw. sich emanzipierenden Frau ebenfalls. Und überhaupt ist die hiesige Nora in keinem Augenblick die emanzipierte Frau. Sie ist vielmehr das Weibchen, das sexy durchs Haus schwebt, bei jeder Gelegenheit die Strumpfbänder aufblitzen lässt und ihren Körper genau dann einsetzt, wenn es eben opportun ist. Ist das die Rückkehr zu den alten Werten, wo die Frau sich noch um den Haushalt, die Kinder und den Hormonhaushalt des Ehemannes zu kümmern hatte? Das Ende zumindest passt hinein.
Es gibt auch noch ein anderes Problem in der Inszenierung, ein logisches: Denn eigentlich hat Nora kein Motiv mehr, ihren Mann zu verlassen. Zugegeben, es gibt ein Kommunikationsproblem zwischen Nora und ihrem Mann, der sie überdies nicht anders behandelt als ein kleines, niedliches Lustobjekt, ein Püppchen für sein Puppenheim. So war es zumindest bei Ibsen. Im Radu Stanca Theater gibt es jedoch kein spezielles Problem zwischen Nora und ihrem Mann. Alle, wirklich alle Protagonisten haben Schwierigkeiten mit der Kommunikation. Niemand spricht zum anderen von Angesicht zu Angesicht, alle sprechen irgendwohin. Alle in dieser „Puppenwelt“ kommunizieren nicht miteinander, eher gegeneinander oder nebeneinander. Puppen, Schablonen, Klischees sind überdies alle miteinander, auch Torvald, Noras Mann. Warum also sollte Nora ihn verlassen? In dieser Welt, in der nicht miteinander gesprochen wird, gibt es keinen Grund, seinen Lebenspartner wegen Kommunikationsproblemen zu verlassen. Ohnehin wirkt Nora nicht sehr überzeugt, wenn sie unbeweglich da steht und mehrmals sagt: „Ich möchte weg!“
So verlässt der Zuschauer das Theater nach einer unterhaltsamen Aufführung und kann zufrieden feststellen, dass alles in Ordnung ist: Die Frau erinnert sich im Angesicht ihres Kindes an ihre weiblichen Pflichten, und wird sich weiterhin mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln – inklusive halterloser Strümpfe – durchschlagen. Ansonsten gibt es Schwierigkeiten mit der Kommunikation, weil es aber allen so ergeht, ist es auch nicht weiter tragisch. So what?©
Lieber Regisseur: Mach’ bitte weiter so in Deinen Inszenierungen. Gib uns ein anderes, ein neues Theater, denn das ist es, was wir wollen. Doch bitte bitte versuch’ nicht, uns hinterrücks die Werte der Altvorderen wieder einzutrichtern. Und mache nicht aus einem modernen Stück den Lobgesang auf alte Werte, denn das brauchen wir ganz bestimmt nicht!
Ambulito - 3. Jun, 18:03