(Fast) 400 Hochzeiten und 1 (nicht tödlicher, doch kritscher) Fall (2004)
(Fast) 400 Hochzeiten und 1 (nicht tödlicher, doch kritischer) Fall
Die europäische Kulturhauptstadt 2007, Hermannstadt, läuft sich im Augenblick warm und gibt eine Kostprobe dessen, was sie zu leisten imstande ist. Das 11. Internationale Theaterfestival bietet allen an Kultur Interessierten eine fast unüberschaubare Vielzahl an Möglichkeiten zur Erweiterung des eigenen Horizontes. Seit letztem Freitag (28.5.) gibt es in und um Hermannstadt so gut wie keine kulturfreien Zonen mehr. Dabei zeigt sich, dass fast das gesamte Spektrum der gegenwärtigen Theaterkunst abgedeckt wird, angefangen von klassischem Theater, über Boulevardbühne, „Boombastic“-Events bis hin zu experimentellem, minimalistischem Avantgarde-Theater. Eine kleine, subjektive Auswahl, der keine qualitativen, sondern pragmatische Kriterien zugrunde liegen (= die Fußfaulheit des Rezensenten): Am Samstag spielte die Taubstummen-Gruppe „I Cannot Hear Theatre“ aus der Tschechei ihre Version der Odyssee am Radu-Stanca Theater. War diese Inszenierung in den ersten Minuten noch schwer zugänglich, so gelang es den Schauspielern im weiteren Verlauf, mit einfachen Mitteln, dafür mit viel Phantasie und großem dramaturgischen Geschick beeindruckende Bilder zu schaffen, die nachhaltig auf die Zuschauer einwirkten. So verblüffte die Szene in der Höhle des Zyklopen: Der Schatten eines Schauspielers, hinter einem transparenten Paravent zu zyklopenhafter Größe angewachsen, davor Odysseus und seine Getreuen, die dem Zyklopen schließlich den Garaus machen. Im Unterschied zu dieser Inszenierung konnte das Stück „Odiseea 2001“ des kroatischen „Workshop Theatre Gustl“ am Montag im Gong-Theater nicht in der gleichen Weise überzeugen. Zu sehr wurde hier auf die Effekte von sehr lauter elektronischer Musik und Video-Einspielungen vertraut. Interessant und sehenswert war diese Inszenierung jedoch allemal. Apropos Effekte, und hier begibt man sich wahrscheinlich auf sehr dünnes Eis. Der Hermannstädter Hof-Regisseur McRanin präsentierte am Samstag auf dem Großen Ring seine Version des „Satiricon“ mit Schauspielern aus Hermannstadt. Im Vorfeld hieß es bereits: „Ach McRanin, da kracht und knallt es wieder gewaltig, und Feuerwerke schießt er sicher auch wieder ab.“ Genau so war es dann auch. Die Meinungen der Zuschauer im Anschluss an diese große und pompöse Inszenierung waren extrem gespalten und reichten von „super, beeindruckend!“ bis hin zu „aufgeblasenes Dorftheater ohne Sinn und Verstand!“. Zwei andere Inszenierungen am selben Abend (Samstag) beeindruckten dafür sicherlich durch ihre Schlichtheit. Das A-Capella-Konzert der mexikanischen Sangesgruppe „Voz en Punto“ in der evangelischen Kirche war schlicht und einfach schön: Melodien, die Herz und Seele erfreuen, dazu die äußerst sympathischen Sängerinnen und Sänger, was will man mehr?
Schwieriger, dabei nicht weniger spannend war die Inszenierung von „Dans.Kias&Saskia Hölbling“ aus Österreich mit dem Titel „Corpuri de expozitie“. Auf der nackten Bühne verdrehte, krümmte und wälzte sich eine fast ebensolche Frau eine halbe Stunde lang zu nicht näher definierbaren Geräuschen aus den Lautsprechern. Manchem Zuschauer war das zu kompliziert, zu komisch, zu doof, doch wenn man mutig genug war und blieb, fing ab einem bestimmten Moment die eigene Interpretationsmaschine im Kopfe an zu arbeiten: Erleidet sie Qualen, empfindet sie Lust, womit kämpft sie oder wogegen, was macht sie da? Ein anregendes Erlebnis, das sicher das Verbleiben wert war.
Eine ganz besondere Inszenierung war eindeutig auch „Inapoi in U.R.S.S.“ des Art&Shock Theaters aus Kasachstan am Sonntag im Gong-Theater. So meinte auch einer der Gäste auf der Pressekonferenz am Tage danach, dass diese Inszenierung eine der fünf oder sechs wirklich sehenswerten aus den letzten acht Jahren sei (an dieser Stelle ein kurzes Zusammenzucken von C. Chiriac, dem langjährigen Organisator des Festivals): Drei Schulmädchen blödeln herum, dabei die verschiedenen Stationen einer typischen Jugend im Kommunismus darstellend (Eintritt bei den Pionieren, der erste BH, etc.). Begleitet wurde das Stück von russischer Musik (Folk und Pop). Eine solche Spiellust und –leidenschaft sieht man selten. Überraschend dabei, dass dies die Erstaufführung des in der Improvisation entstandenen Stückes war, wie man in der Pressekonferenz erfahren konnte. Großartiges Stück mit absoluter Lachgarantie, damit ein guter Grund, mal wieder zum Einkaufen nach Almaty zu fahren.
Am Montag spielte das vierte Studienjahr der UNATC Bukarest [keine Ahnung, wie das ausgeschrieben wird!] „Opt Femei“ im Armeehaus. Eine schwierige Aufgabe, vor allem wenn man die Verfilmung kennt, in der die Creme der französischen Schauspielerinnen mitspielt (Fanny Ardant, Catherine Deneuve, Emmanuelle Beart, Isabelle Huppert, etc.). Die Damen aus Bukarest konnten aber ebenfalls überzeugen mit ihrer Inszenierung dieser wirklich guten Geschichte über das schwache Geschlecht (haha!).
Man kann schon anhand dieses kleinen Einblicks in das Festival-Geschehen sehen, dass sich der Besuch lohnt. Neben all den Inszenierungen gibt es überdies jeden Abend Konzerte unterschiedlichster Couleur auf dem Großen Ring, natürlich mit Mici und Bier.
Schön wäre es natürlich auch gewesen, wenn mehr Stücke übertitelt oder anders in Übersetzung erlebbar wären, doch ist dies sicherlich auch den vorhandenen technischen Möglichkeiten zuzuschreiben.
Was jedoch absolut unverständlich und ärgerlich ist, dass ist die Art und Weise, wie Programmänderungen vorgenommen werden. Jeden Tag gibt es unzählige Änderungen, die nur dem Eingeweihten und selbst dem nur in Bruchstücken bekannt sind. Selbst wenn man in der privilegierten Lage ist, über Freunde und Bekannte in der Stadt zu verfügen, die rumänische Sprache zu beherrschen und regelmäßig über den Computer mit aktuellen Programmänderungen versorgt zu werden, wird man sicherlich nicht auf dem aktuellsten Stand der Dinge sein. Ein kleines Beispiel: Montag im Geschichte-Museum ist geplant um 17.30 Uhr eine russische Gruppe und um 21.30 eine deutsche. Um 16.oo Uhr erfährt man mittels E-Mail, dass die deutsche Gruppe bereits um 17.30 Uhr spielt. Fein und gut zu wissen. Wenn man dann aber um 17.20 am Tor des Geschichte-Museums liest, dass dort am Montag gar nichts gespielt wird, tja, dann wundert man sich.
Wie ergeht es einem theaterliebenden Paar aus dem nichtrumänischsprachigen Ausland, dass nur wegen des Festivals herkommt? Werden die wiederkommen, wenn sich solche Fälle wiederholen (und es gibt sie ständig)? Aus Erfahrung von anderen – und wesentlich größeren - Festivals weiß man, dass dort Programme bereits Wochen vorher erhältlich sind und auch exakt eingehalten werden. Dies soll nicht heißen, dass jede Veranstaltung auf die Minute pünktlich beginnt, doch werden Programmpunkte nicht wie Lokomotiven auf einem großen Spielzeugeisenbahn-Rangierbahnhof beliebig hin- und her geschoben. Ist das Willkür, Ignoranz, oder einfach Unfähigkeit?
So toll und großartig das Festivals auch ist, an diesem Punkt muss entschieden nachgebessert werden, sonst macht sich bald kein Gemüsehändler vom Zibinsmarkt mehr die Mühe, für eine Inszenierung hinauf in die Oberstadt zu kommen. Ganz zu schweigen von den Gästen, die einen etwas weiteren Weg hierher haben.
Die europäische Kulturhauptstadt 2007, Hermannstadt, läuft sich im Augenblick warm und gibt eine Kostprobe dessen, was sie zu leisten imstande ist. Das 11. Internationale Theaterfestival bietet allen an Kultur Interessierten eine fast unüberschaubare Vielzahl an Möglichkeiten zur Erweiterung des eigenen Horizontes. Seit letztem Freitag (28.5.) gibt es in und um Hermannstadt so gut wie keine kulturfreien Zonen mehr. Dabei zeigt sich, dass fast das gesamte Spektrum der gegenwärtigen Theaterkunst abgedeckt wird, angefangen von klassischem Theater, über Boulevardbühne, „Boombastic“-Events bis hin zu experimentellem, minimalistischem Avantgarde-Theater. Eine kleine, subjektive Auswahl, der keine qualitativen, sondern pragmatische Kriterien zugrunde liegen (= die Fußfaulheit des Rezensenten): Am Samstag spielte die Taubstummen-Gruppe „I Cannot Hear Theatre“ aus der Tschechei ihre Version der Odyssee am Radu-Stanca Theater. War diese Inszenierung in den ersten Minuten noch schwer zugänglich, so gelang es den Schauspielern im weiteren Verlauf, mit einfachen Mitteln, dafür mit viel Phantasie und großem dramaturgischen Geschick beeindruckende Bilder zu schaffen, die nachhaltig auf die Zuschauer einwirkten. So verblüffte die Szene in der Höhle des Zyklopen: Der Schatten eines Schauspielers, hinter einem transparenten Paravent zu zyklopenhafter Größe angewachsen, davor Odysseus und seine Getreuen, die dem Zyklopen schließlich den Garaus machen. Im Unterschied zu dieser Inszenierung konnte das Stück „Odiseea 2001“ des kroatischen „Workshop Theatre Gustl“ am Montag im Gong-Theater nicht in der gleichen Weise überzeugen. Zu sehr wurde hier auf die Effekte von sehr lauter elektronischer Musik und Video-Einspielungen vertraut. Interessant und sehenswert war diese Inszenierung jedoch allemal. Apropos Effekte, und hier begibt man sich wahrscheinlich auf sehr dünnes Eis. Der Hermannstädter Hof-Regisseur McRanin präsentierte am Samstag auf dem Großen Ring seine Version des „Satiricon“ mit Schauspielern aus Hermannstadt. Im Vorfeld hieß es bereits: „Ach McRanin, da kracht und knallt es wieder gewaltig, und Feuerwerke schießt er sicher auch wieder ab.“ Genau so war es dann auch. Die Meinungen der Zuschauer im Anschluss an diese große und pompöse Inszenierung waren extrem gespalten und reichten von „super, beeindruckend!“ bis hin zu „aufgeblasenes Dorftheater ohne Sinn und Verstand!“. Zwei andere Inszenierungen am selben Abend (Samstag) beeindruckten dafür sicherlich durch ihre Schlichtheit. Das A-Capella-Konzert der mexikanischen Sangesgruppe „Voz en Punto“ in der evangelischen Kirche war schlicht und einfach schön: Melodien, die Herz und Seele erfreuen, dazu die äußerst sympathischen Sängerinnen und Sänger, was will man mehr?
Schwieriger, dabei nicht weniger spannend war die Inszenierung von „Dans.Kias&Saskia Hölbling“ aus Österreich mit dem Titel „Corpuri de expozitie“. Auf der nackten Bühne verdrehte, krümmte und wälzte sich eine fast ebensolche Frau eine halbe Stunde lang zu nicht näher definierbaren Geräuschen aus den Lautsprechern. Manchem Zuschauer war das zu kompliziert, zu komisch, zu doof, doch wenn man mutig genug war und blieb, fing ab einem bestimmten Moment die eigene Interpretationsmaschine im Kopfe an zu arbeiten: Erleidet sie Qualen, empfindet sie Lust, womit kämpft sie oder wogegen, was macht sie da? Ein anregendes Erlebnis, das sicher das Verbleiben wert war.
Eine ganz besondere Inszenierung war eindeutig auch „Inapoi in U.R.S.S.“ des Art&Shock Theaters aus Kasachstan am Sonntag im Gong-Theater. So meinte auch einer der Gäste auf der Pressekonferenz am Tage danach, dass diese Inszenierung eine der fünf oder sechs wirklich sehenswerten aus den letzten acht Jahren sei (an dieser Stelle ein kurzes Zusammenzucken von C. Chiriac, dem langjährigen Organisator des Festivals): Drei Schulmädchen blödeln herum, dabei die verschiedenen Stationen einer typischen Jugend im Kommunismus darstellend (Eintritt bei den Pionieren, der erste BH, etc.). Begleitet wurde das Stück von russischer Musik (Folk und Pop). Eine solche Spiellust und –leidenschaft sieht man selten. Überraschend dabei, dass dies die Erstaufführung des in der Improvisation entstandenen Stückes war, wie man in der Pressekonferenz erfahren konnte. Großartiges Stück mit absoluter Lachgarantie, damit ein guter Grund, mal wieder zum Einkaufen nach Almaty zu fahren.
Am Montag spielte das vierte Studienjahr der UNATC Bukarest [keine Ahnung, wie das ausgeschrieben wird!] „Opt Femei“ im Armeehaus. Eine schwierige Aufgabe, vor allem wenn man die Verfilmung kennt, in der die Creme der französischen Schauspielerinnen mitspielt (Fanny Ardant, Catherine Deneuve, Emmanuelle Beart, Isabelle Huppert, etc.). Die Damen aus Bukarest konnten aber ebenfalls überzeugen mit ihrer Inszenierung dieser wirklich guten Geschichte über das schwache Geschlecht (haha!).
Man kann schon anhand dieses kleinen Einblicks in das Festival-Geschehen sehen, dass sich der Besuch lohnt. Neben all den Inszenierungen gibt es überdies jeden Abend Konzerte unterschiedlichster Couleur auf dem Großen Ring, natürlich mit Mici und Bier.
Schön wäre es natürlich auch gewesen, wenn mehr Stücke übertitelt oder anders in Übersetzung erlebbar wären, doch ist dies sicherlich auch den vorhandenen technischen Möglichkeiten zuzuschreiben.
Was jedoch absolut unverständlich und ärgerlich ist, dass ist die Art und Weise, wie Programmänderungen vorgenommen werden. Jeden Tag gibt es unzählige Änderungen, die nur dem Eingeweihten und selbst dem nur in Bruchstücken bekannt sind. Selbst wenn man in der privilegierten Lage ist, über Freunde und Bekannte in der Stadt zu verfügen, die rumänische Sprache zu beherrschen und regelmäßig über den Computer mit aktuellen Programmänderungen versorgt zu werden, wird man sicherlich nicht auf dem aktuellsten Stand der Dinge sein. Ein kleines Beispiel: Montag im Geschichte-Museum ist geplant um 17.30 Uhr eine russische Gruppe und um 21.30 eine deutsche. Um 16.oo Uhr erfährt man mittels E-Mail, dass die deutsche Gruppe bereits um 17.30 Uhr spielt. Fein und gut zu wissen. Wenn man dann aber um 17.20 am Tor des Geschichte-Museums liest, dass dort am Montag gar nichts gespielt wird, tja, dann wundert man sich.
Wie ergeht es einem theaterliebenden Paar aus dem nichtrumänischsprachigen Ausland, dass nur wegen des Festivals herkommt? Werden die wiederkommen, wenn sich solche Fälle wiederholen (und es gibt sie ständig)? Aus Erfahrung von anderen – und wesentlich größeren - Festivals weiß man, dass dort Programme bereits Wochen vorher erhältlich sind und auch exakt eingehalten werden. Dies soll nicht heißen, dass jede Veranstaltung auf die Minute pünktlich beginnt, doch werden Programmpunkte nicht wie Lokomotiven auf einem großen Spielzeugeisenbahn-Rangierbahnhof beliebig hin- und her geschoben. Ist das Willkür, Ignoranz, oder einfach Unfähigkeit?
So toll und großartig das Festivals auch ist, an diesem Punkt muss entschieden nachgebessert werden, sonst macht sich bald kein Gemüsehändler vom Zibinsmarkt mehr die Mühe, für eine Inszenierung hinauf in die Oberstadt zu kommen. Ganz zu schweigen von den Gästen, die einen etwas weiteren Weg hierher haben.
Ambulito - 3. Jun, 18:07