Grüne Woche und Nabelschau oder: Der 2. Berliner MOE-Kompetenztag (2003)

Grüne Woche und Nabelschau
oder: Der 2. Berliner MOE-Kompetenztag

Wir haben da also: Kohlrouladen, mit Spinat gefüllte Blätterteig-Taschen, süßes Gebäck, Erdnüsse, Schnaps, Wein und Bier. Dann wäre da noch die Musik russischer Roma, die Bücher tschechischer Autoren und die Dracula-Park-Prospekte rumänischer Tourismus-Minister. Als letztes wären vielleicht noch die Reiseprospekte und die Broschüren zu den kroatischen Restaurants und Schönheitschirurgen zu nennen. Et voilà! Damit hätten wir so ungefähr das Gesamtergebnis vorliegen: Die geballte Berliner MOE-Kompetenz an einem Platz versammelt.
Das in etwa bot sich dem an mittel- und osteuropäischen Menschen und Projekten in Berlin Interessierten gestern auf dem 2. Berliner MOE-Kompetenztag im Roten Rathaus. Und es war durchaus wohlschmeckend und hübsch anzusehen, was da präsentiert wurde. Dennoch wurde man den Eindruck nicht los, dass man womöglich doch auf der falschen Veranstaltung...?
Angekündigt war die Veranstaltung, die unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit stand, mit dem Titel „Die Mittel- und Osteuropakompetenz der Stadt Berlin – Mittel- und Osteuropäer/innen in der Stadt“, doch leider hielt sie nicht, was ihr Name versprach.
Nach der offiziellen Begrüßung im bis auf den letzten Platz gefüllten Festsaal des Rathauses durch Monika Helbig, Staatssekretärin und Europabeauftragte des Landes Berlin, hielt der Direktor des Instituts für Europäische Ethnologie an der HU Berlin, Prof. Dr. Wolfgang Kaschuba einen einführenden Vortrag mit dem Titel „Mittel- und Osteuropäer/innen in der Stadt – Chancen und Potentiale (sic!)“. Der nun folgende, kenntnisreiche und durchaus unterhaltsame Vortrag schien das Dilemma der gesamten Tagung vorzugeben. Denn nach einigen sehr anregenden Gedanken zur Definition und Eingrenzung der Begriffe Mitteleuropa und Osteuropa begann der Referent ausgiebig, seine eigene Biografie und die darin enthaltenen Bezüge zum Thema darzustellen. Merke: Wenn man nach MOE-Kompetenz befragt wird, dann schaut man lange in den Spiegel und berichtet anschließend darüber, was man sieht in der Hoffnung, dass die Kompetenzen dem Gegenüber schon deutlich werden. Und dass fast jeder von uns etwas sieht, dass liegt ist wohl klar.
Bei der anschließenden Podiumsrunde war das Verfahren das Nämliche. Ein Vertreter der polnischen Botschaft, ein ungarischer Schriftsteller und eine polnische Geschäftsfrau berichteten von „ihrer MOE-Kompetenz“. Einzig der tschechische Studienleiter der Europäischen Akademie Berlin, Jaroslav Sonka, fiel etwas aus dem Rahmen, da er neben Lob an der Veranstaltung und Anekdoten aus dem eigenen Leben (wie die anderen Redner quasi zur Authentifizierung der eigenen MOE-Kompetenz) Kritik am Verhalten gegenüber Mittel- und Osteuropäern bekundete, dass entweder unwissend, gleichgültig und ignorant oder bis zur Unerträglichkeit freundlich sei.
Im Einführungsvortrag wurde auf die Bedeutung Berlins für das Verhältnis zu Ost- und Mitteleuropa eingegangen und die Rolle, die Berlin schon in den 20er Jahren spielte sowie die Bedeutung, welche die fremden, weil fremdländischen Einflüsse auf das Leben Berlins zur selben Zeit hatten. Ein Bezug zur Gegenwart ließ sich leider nicht finden.
Die Frage, die während der gesamten Veranstaltung unangesprochen im Raume stand und die entsprechend unbeantwortet blieb, war: Nutzt Berlin sein Potenzial an Menschen aus Ost- und Mitteleuropa, die hier mehr (z.B. die russische Community) oder weniger (z.B. die polnische oder die rumänische Community) deutlich erkennbar leben? Wie die brachliegenden Potenziale nutzbar zu machen wären, auch diese Frage wurde nicht gestellt.
Also besinnt man sich auf die Grundlagen des Lebens, zeigt was man kocht und wie man singt und wie schön die Natur des Heimatlandes doch ist.
So lassen sich die MOE-Kompetenzen in und für Berlin ganz bestimmt nicht nutzen. Prost! Noroc! Nasdorowje!

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