Journalismus

Sonntag, 3. Juni 2007

War da was? Oder: Neulich bei einer Premiere (2000)

Die der deutschen Zunge mächtigen Kulturfreunde Hermannstadts folgten letzten Donnerstag wie immer zahlreich dem Premieren-Ruf ins Radu-Stanca-Theater. Auf dem Programm stand ein Stück von Matei Visniec, „Clown gesucht“ und bereits die Einladung auf Hartpappe im Mehrfarbdruck kündete davon, daß sich einiges verändert hat. Das Foyer des Theaters machte dann einen geradezu kuscheligen Eindruck mit seinen niedrighängenden Tüchern und gepolsterten weißen Wänden. Sehr schön. Das Grüßen von Bekannten während des Wartens auf den Vorstellungsbeginn versetzte den Theaterbesucher ebenfalls in eine positiv-empathische Grundhaltung gegenüber dem, was der Abend noch zu bieten hatte.
„Clown gesucht“, das klang vielversprechend, klang nach Kinderstück oder zumindest nach etwas Humorvoll-Melancholischem, wahrscheinlich angesiedelt im Zirkus-Milieu, was sich beim Betreten des Zuschauerraums auch bestätigen sollte, da man sich als Zuschauer verwandelt sah in einen Zirkusbesucher, der am Rande der Manege, die hier mit bunten Schaumstoffelementen abgetrennt war, Platz nimmt. Konkretere Erwartungen hatte man für das Stück nicht mitgebracht, schließlich wußten vorher viele doch eher wenig über Autor und Stück zu berichten. Was erhoffte man sich also vom Besuch des Hermannstädter Musentempels? Vielleicht einmal etwas ganz anderes, vielleicht sogar einmal etwas.....Unterhaltsames? Die Voraussetzungen zumindest waren gegeben, das Theater empfing seine Besucher freundlich und mit offenen Armen und die Zuschauer waren bereit, sich auf die Kultur einzulassen, die sich ihnen darbieten würde. Nur das Stück, ach, das Stück meinte es (wieder einmal) nicht gut mit den Kulturfreunden. Blindlings scheint man hier das Talent zu besitzen, zielsicher die Stücke aus dem Hut aller zur Verfügung stehenden Theaterstücke zu ziehen, die mit nervenzerrüttender Beharrlichkeit so tun, als würden sie von wichtigen Dingen handeln. Dabei leider handeln sie nur davon, wie man eine kleine Schar von Schauspielern beliebig lange mit Belanglosigkeiten auf der Bühne hin- und hertreibt und sie dabei Worte und Sätze sprechen läßt, die wenig mehr als nichts bedeuten. Muß denn Theater so sein? Ich dachte immer, es sei eine (binnen)deutsche Überzeugung, daß Kultur und Kunst nur dann so genannt werden dürfen, wenn sie nicht unterhaltsam sind.
Keine Frage, es war schön, mal wieder im Theater gewesen zu sein. Es war auch schön, wieder einmal den Stimmen und den Künsten von Georg Potzolli, Wolfgang Ernst und natürlich Franz Kattesch huldigen zu dürfen. Gleichzeitig aber war es auch wieder schrecklich, einem unmotivierten, überflüssigen Stück beiwohnen zu müssen, das insgesamt ungefähr achteinhalb Stunden dauerte (habe nicht auf die Uhr geschaut).
Ach ja, wovon das Stück handelte: Erst ein, dann zwei, schließlich drei Clowns, die sich alle von früher kennen und nicht mehr die jüngsten sind, warten in der Manege eines Zirkus unter dem Aushang: „Alter Clown gesucht“. Während sie warten, machen sie sich gegenseitig schlecht. Wenn sie sich an die Vergangenheit erinnern, dann bewegt sich jedesmal eine von zwei verkleideten weiblichen Person, die eine singend, die andere schreitend, durch die Manege, um dann wieder zu verschwinden.
Und irgendwann war das Stück dann vorbei. Warum das Stück zu Ende war, ich weiß es nicht mehr, kann mich nur noch daran erinnern, daß es während der Vorstellung draußen geregnet hat, was der dramatische Höhepunkt des Abends war.

Sie sitzen also immer noch ... (1999)

... in ihrem Keller und leiden, die beiden in Hermannstadt wohlbekannten Herren mit den seltsamen „Namen“ AA und XX. Wenn sie auch erst 1975 in Paris das Licht der Welt erblickten, sind sie doch seitdem bereits das dritte Mal in Hermannstadt am Theater zu sehen. Eine gewisse Affinität scheint also zu herrschen zwischen dem hiesigen Theater und den beiden Emigranten aus dem gleichnamigen Stück des polnischen Schriftstellers/Dramatikers Slawomir Mrozek, die auch heute noch mit ihrem Schicksal in der Fremde hadern, wie sie es schon 1992 und 1983 taten. Der Rezensent sieht sich also mit hervorragenden Bedingungen konfrontiert, das Wechselspiel zwischen Gegenwartstheater und gesellschaftlichen Zuständen und Veränderungen in einer geradezu laborähnlichen Versuchsanordnung zu beschreiben in der Art: ‚Rezeptionsweisen eines politischen Gegenwartsdramas in drei Phasen gesellschaftlicher Ordnung, nämlich zur Zeit des etablierten sozialistischen Totalitarismus, in der Übergangsgesellschaft und in der Gegenwart‘. All das will und wird die vorliegende Rezension nicht leisten aus unterschiedlichen Gründen. Wer dabei war, der soll es selbst tun, wer nicht dabei war, der möge über die gegenwärtige Inszenierung lesen und sich eigene Gedanken machen.
Während der Zuschauer im Theaterfoyer auf den Einlaß wartet dringt plötzlich gellender Sirenenlärm ins Theater. Noch überlegend, ob die Sirenen von draußen kommen oder schon Beginn der Vorstellung sind, wird man in den Theatersaal hinein und über die Bühne hinweg in einen großen, mit schwarzen Tüchern verhängten Raum geführt, der sich hinter der eigentlichen Bühne befindet. Auf der Suche nach einem freien Platz bemerkt man einen unrasierten Mann, der, den Kopf in die Hand stützend, an einem schäbigen Tisch vor der Zuschauertribüne sitzt. Als Tischdecke dient eine ausgebreitete Zeitung. Darüber hängt eine Lampe, d.h. ein Kabel mit Glühbirne und einem aus Papier improvisierten Lampenschirm. Weitere Elemente des Raumes sind zwei einfache Betten und ein Spind. Im Hintergrund eine Tür, die mit ausgerissenen Nacktfotos dekoriert ist, daneben ein Kleiderständer. Dominiert wird die Spielfläche von Rohren, die an der Rückwand des Raumes verlaufen. Dieser von Tristesse geprägte Raum wird für die folgenden zwei Stunden Schauplatz der Auseinandersetzung der beiden Protagonisten sein, die vorwiegend vom Tisch und vom Bett aus agieren. Der eine, AA, überzeugend gespielt von Georg Potzolli, sitzt zu Spielbeginn bereits am Tisch. Im Bademantel und mit Pantoffeln bekleidet umgibt ihn eine große Lethargie, die durch seine Haltung am Tisch und kurz danach im Bett noch verstärkt wird. Wie sich im Verlaufe des Stückes herausstellt ist er „der“ Intellektuelle, womit auch der Grund seiner Emigration genannt ist. Er wollte ein Buch über den Menschen in Unfreiheit, in Sklaverei, verfassen. In der Fremde und in Freiheit aber ist ihm sein Forschungsobjekt abhanden gekommen, so daß sein Projekt ins Stocken gekommen ist. AA repräsentiert den asketischen, an den Übeln der Welt leidenden Geistesmenschen, der reglos in seinem Schicksal verharrt, personifizierte Resignation. Der andere Emigrant, der wenige Minuten nach Spielbeginn den Kellerraum betritt, unterscheidet sich bereits äußerlich entschieden von AA: Elegant in Jackett, Hemd und Krawatte (Ton in Ton a la Mode) mit feinen Schuhen, dabei ein zufriedenes Grinsen ins Gesicht gemeißelt. Sofort sieht man die Eleganz, doch genau so schnell bemerkt man auch, daß die Kleidung zwar elegant, aber auch alt und nicht mehr so ganz frisch ist. Der Träger dieser angeschlagenen Eleganz, im Programmheft bezeichnet als XX, von Franz Kattesch großartig in Szene gesetzt, berichtet zufrieden von seinem Nachmittag, wie er durch die Stadt lustwandelte, am Bahnhof eine feine Dame kennenlernte und es mit ihr zu einer intimen Begegnung kam. Schnell entlarvt AA diese Geschichte als Lügenmärchen und Wunschgebilde. Überhaupt kennt AA seinen Zimmernachbarn genau, da er ihn als vollwertigen Ersatz für die Sklaven seines Heimantlandes ausgemacht hat. XX, das ist der dumpf vor sich hin lebende Mensch, der neben seiner täglichen Arbeit den Stimmen seiner Leibestriebe folgt und sich nicht weiter Gedanken über Sinn und Zweck des Daseins macht. So geht der Abend hin mit gegenseitigen Beschuldigungen und Entlarvungen, denn auch der Intellektuelle in seiner Lethargie wird bloßgestellt in seiner Untätigkeit. Verschiedene Versuche von beiden Protagonisten, durch die rückwärtige Tür das Elend des Kellerlochs zu verlassen, scheitern, da sich hinter der Tür nur ein schäbiger Gang und beißende Nebelschwaden befinden. AA und XX schließen ihren Frieden bei einer Flasche Wodka, da sie die Silvesternacht zelebrieren wollen. Dazu erklingt aus einer Spieluhr die Melodie eines Weihnachtsliedes. Das Spiel endet, wie es begonnen hat: Zwei einsame Männer, illusionslos und resigniert in einem kahlen schäbigen Kellerloch.
Ein nachdenkliches Publikum verließ das Theater, im Kopf das fulminante Spiel der beiden Hermannstädter Schauspieler Franz Kattesch und Georg Potzolli und das Bewußtsein, einer soliden Inszenierung beigewohnt zu haben. Die akustischen Effekte während des Stückes, Wasserrauschen und gelegentliche Moll-Improvisationen, verstärkten den Eindruck, den das Stück machte. Manchem schien es aber auch, daß sich die bleierne Schwermut der Spielszene bis ins Publikum erstreckte, wogegen das erfrischende Spiel der beiden Minnen nicht immer erfolgreich ankämpfte, allerdings liegt das natürlich im Charakter des Stückes selbst. Hinzu kommt die düstere Atmosphäre jenes Hinterzimmers, vielleicht noch der eine oder andere Gerüchtefetzen im Ohr über den Verbleib der deutschen Theater-Abteilung in Hermannstadt und fertig ist die Mixtur, die jede Frohnatur mit sich hinabreißt.
Wenn man sich die Realität anschaut und mit dem Spiel der Archetypen in der Emigration betrachtet, dann kann man immerhin zu dem Schluß kommen, daß es heute nur noch die XXe sind, für die wirkliche Notwendigkeit für die Emigration besteht. Der Intellektuelle kann schreiben und publizieren, was er möchte, sein Paradies kann er auch in der Heimat finden, das leibliche Wohl und all die feinen Dinge, die dazu gerechnet werden, lassen sich allerdings auch heute noch besser im Ausland beschaffen.

Fräulein Julie aus Temeswar (1998)

Am Montag, dem 27.04.98 hatte das Hermannstädter Publikum die Möglichkeit, ein anderes „Fräulein Julie“ kennenzulernen. Anläßlich des nationalen Studententheaterfestivals, das vom 24. bis zum 29. April im hiesigen Theater „Radu Stanca“ stattfindet, präsentierte das Deutsche Staatstheater Temeswar seine Deutung des Stückes von August Strindberg. So gab es die seltene Gelegenheit, zwei Inszenierungen desselben Stückes sehen und vergleichen zu können (die Hermannstädter Inszenierung vom Februar diesen Jahres ist noch in guter Erinnerung). Das Temeswarer Ensemble und seine darstellerische Leistung brauchte sich mit seiner Interpretation und Umsetzung vor dem gut gefüllten Zuschauerraum gewiß nicht zu verstecken, denn was die jungen Schauspieler boten, war der Ansicht wert. Das Stück unter der Regie von Stefan-Andreas Darida folgte dem Text August Strindbergs ohne wesentliche Kürzungen. Die Inszenierung verzichtete auf außergewöhnliche Ideen und Präsentationsweisen - hier im Unterschied zur Hermannstädter Inszenierung - und konzentrierte sich ganz auf den Text und seine schauspielerische Interpretation. So genügte sich das Bühnenbild in der Ausstattung von Traian Zamfirescu in der Darstellung einer rustikalen Küche mit fast überproportioniertem Mobiliar und einer Kochstelle im Hintergrund nebst einem Treppenaufgang. Für die ausdrucksvolle Interpretation des Textes war ohne Zweifel das schauspielerische Können und der Elan der drei Darsteller von besonderer Bedeutung: Kristin (Ildiko Frank), die untertänige Köchin, die ihr Schicksal mit Anstand trägt in dem Bewußtsein, daß sie in der Hierarchie weit unten rangiert und mit dem vorlieb nehmen muß, was übrigbleibt und die nur am Rande erwähnt, daß sie den Beischlaf ihres Verlobten mit ihrer Herrin auf dem Küchentisch beobachtet hat; Jean, der arrogante Kammerdiener, der sich seines guten Aussehens und der beiden um ihn buhlenden Frauen bewußt ist und dabei hin- und hergerissen ist zwischen seiner offiziellen Position als untertäniger, geradezu devoter Domestik einerseits und seiner privaten Rolle als betrügender stolzer Geck andererseits, der durch seine (sexuellen) Eroberungen immer überheblicher und unerträglicher wird und der im Grunde mit seiner Verführung von Fräulein Julie nur ein Ziel verfolgt, nämlich einen Sponsor für sein geplantes Hotel in der Schweiz zu finden; und schließlich Fräulein Julie, die aufgrund ihrer Familiengeschichte die Männer haßt und die doch ihr Herz an den falschen verliert, an Jean. Nachdem sie sich ihm hingibt, zeigt er sein wahres Gesicht und wandelt sich vom Charmeur zum Opportunisten. Ihr bleibt, wie so oft für liebende Frauen in der Theaterwelt, nur ein Ausweg. Da ihr der Mut fehlt und Jean sich außerstande sieht, das Spiel vom Rollentausch von Befehlsgeber und -empfänger fortzusetzen, führt Kristin die Hand ihrer Herrin im Akt der Selbstentleibung. Mit dramatischer Musik und einem „Vaterunser“ auf den Lippen beendet Fräulein Julie mit einem Rasiermesser ihr nun schandhaft gewordenes Leben und damit einen Theaterabend, der Theater in Reinform zeigte und dem nichts fehlte: Nicht das (Theater-)Blut und nicht das nackte Fleisch der Hauptdarstellerin. Das Publikum verlohnte es den abgekämpften Dienern Thalias mit anhaltendem Applaus.
Was an dem Abend auszusetzen wäre ist zunächst einmal im Stück selbst begründet, da es in einem uns heute fremden Milieu angesiedelt ist, was die Motivation der Handelnden zum Teil schwer nachvollziehbar macht. Warum z.B. muß sich die Protagonistin töten, nur weil sie (aus freien Stücken) sexuellen Kontakt hatte mit einem ihrer Diener? Diese und andere Fragen stellen sich aber oft bei der Konfrontation mit Stücken älteren Datums. So bleibt dem Betrachter nur die Möglichkeit, das Ganze als historisches Geschehen zu deuten, ohne nennenswerte Bezüge zur Gegenwart.
Im Vergleich mit der Hermannstädter Inszenierung fällt sofort die unterschiedliche Atmosphäre der beiden Stücke auf. War die hiesige Darstellung geprägt von einer finsteren, fast morbiden Stimmung, die untermauert war durch das stark dominierende Bühnenbild, mit zum Teil erschreckenden Szenen und einem über alle Maßen unsympathischen und gemeinen Jean (nichts für ungut, Franz!), präsentiert sich die Temeswarer Deutung in einem ganz anderen Licht. Die lustig beschwingte Tanzmusik zu Beginn des Stückes mit einem leichtfüßigen folkloristischen Tanz der drei Darsteller, die helle rustikale Küche und dazu ein wirklich netter und freundlicher Jean, dem man sein Verhalten nur wegen seiner Worte glaubt.
Dem schwermütigen düsteren Spiel der Hermannstädter Schauspieler stellte sich mit dem Temeswarer Ensemble eine leichte und beschwingte Inszenierung gegenüber. Welche der beiden Interpretationen die bessere war, vermag man nicht zu sagen, ist aber auch nicht von Bedeutung. Wichtig war vielmehr zu sehen, wie die Verschiedenheit der Deutungen im Vergleich die Qualität der beiden Inszenierung verdeutlichte.

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