Schabernack mit fremden Zungen (2001)

Viele Menschen wissen sicherlich, daß der letzte Samstag der Tag des Heiligen Pankratius war. So etwas weiß man eben, warum auch immer. Die meisten aber werden neulich nicht mitbekommen haben, daß der Welttag des Buches stattfand (wann war das noch?). Für die aufmerksamen und interessierten Zeitgenossen nun aber die 1-Millionen-Lei-Frage: Wie heißt denn eigentlich das Jahr, in dem wir uns gerade befinden? Für die Ignoranten oder Nicht-ganz-so-gut-Informierten hier die Antwort: 2001 ist das „Europäische Fremdsprachenjahr“! Gewußt? Bravo! Manche Menschen aber wissen nicht nur davon, sondern tun auch etwas dafür. Wie z.B. eine Gruppe von Studierenden der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt unter der Anleitung von Sunhild Galter und Liane Junesch. Zurückgehend auf eine Idee von Prof. Dr. Horst Schuller, dem Leiter des Lehrstuhls für Germanistik und unter der Regie von Frau Lilli Krauss-Kalmar inszenierte eine Gruppe von insgesamt 12 Studierenden einen Ausschnitt aus Wilhelm Buschs „Max und Moritz“, dies aber nicht einfach so, sondern polyglott, mit anderen Worten acht-(in Zahlen 8-)sprachig! Im Spiegelsaal des Deutschen Forums in Hermannstadt führten sie am Donnerstag, dem 10. Mai, den ersten Streich des bekannten Kinderbuches auf (Zur Erinnerung: Das ist der Streich mit Witwe Bolte, langen Hälsen und bangen Gesängen!). Aber wie kann man sich das vorstellen? Mit genau dieser Frage im Kopf saßen auch wir Zuschauer auf unseren Stühlen und warteten auf des Rätsels Lösung. Zuvor allerdings trugen Studentinnen des 3. Studienjahres LMA Gedichte zum Thema Sprachen/Fremdsprachen vor („Aphasie“, „Esperanto“ etc.).
Doch dann begann das Spektakel: Acht junge Menschen (sieben davon weiblich) betraten den Saal und anschließend die Bühne, deren Hintergrund mit einem weißen Tuch abgetrennt blieb. Dabei waren sie aufgrund ihrer Kleidung relativ leicht zu erkennen als: Sächsin, Französin, Deutsche, Spanierin, Engländer, Rumänin, Italienerin und Ungarin. Sie gruppierten sich um das weiße Tuch und begannen, eine nach der anderen (und dazwischen auch der englische Gentleman) die einleitenden Worte von Max und Moritz zu rezitieren. Dabei wurden sie von landestypischer Musik begleitet. Jetzt ahnte man auch bereits, welche Rolle das Laken im Hintergrund spielte: Es diente als Leinwand zur Projektion einzelner Bilder aus dem Buch von Wilhelm Busch. Während das freche Treiben der beiden Buben seinen Lauf nahm, immer kommentiert in den acht auf der Bühne repräsentierten Sprachen, eröffnete sich dem Publikum aber noch eine weitere Dimension des weißen Tuchs: In der Art des Schattenspiels agierten zwei Schauspieler (die sich nach dem Stück als –innen offenbarten) als Max und Moritz pantomimisch hinter der Leinwand und stellten so dar, was währenddessen achtsprachig beschrieben wurde. Der Eindruck war überzeugend und faszinierend zugleich. So mancher Zuschauer schien zwar hin und wieder seine Zweifel an dem ganzen Unterfangen zu haben, so eine ca. Neunjährige, die mehrmals irritiert in den Raum fragte: „Ce limbă vorbesc ăia?“ Für all die anderen aber war der Abend ein großer Spaß. Zum einen die schauspielerischen Leistungen hinter und auf der Bühne, denn auch die acht Rezitatoren standen und saßen nicht nur da, in fremde Kleidung gezwängt und sprachen in fremden Zungen. Nein, auch sie agierten so landestypisch, wie es möglich war: Die Französin, nonchalant einen Fächer bewegend, die Spanierin, leidenschaftlich ihre Strähnen aus dem Gesicht streichend, die Italienerin mit den Händen in den Hüften und der Engländer, na ja, britisch eben. Wunderbar, das Schauspiel zu betrachten. Zum andern war da aber noch die sprachliche Seite und das Erstaunen, das es provozieren kann, wenn man denselben Text nacheinander in unterschiedlichen Sprachen hört, von denen – wahrscheinlich – keiner der Zuschauer alle beherrschte. So wurden der Intellekt wie auch die Sinne an diesem Abend von allen Seiten gehörig gekitzelt.
Für all diejenigen unter den Lesern, die jenes babylonische Spektakel nicht genießen konnten, gibt es aber einen Trost: Das Europäische Fremdsprachenjahr 2001 dauert einschließlich bis zum 31.12.2001. Jetzt sind Sie dran!

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