Augen auf im Straßenverkehr! oder: Völker, hört die Signale ... der Autos! (2002)

Neulich beim Spaziergang durch Hermannstadt stand ich an einer Ampel und wartete auf grünes Licht. Da hörte ich schon von weitem eine sehr laute Autosirene heulend immer näherkommen. Mir war klar: Irgendein großer und vor allem wichtiger Mann ist unterwegs von A nach B. Denn in Rumänien hält sich noch immer die gute alte Tradition, die Straße großzügig frei zu räumen wenn irgendein Herr Großkopf mal wieder unterwegs ist (dieses Schicksal hat mich einmal auf dem Weg nach Bukarest erreicht und fast in den Graben katapultiert). Vielleicht sollten auch Politiker den Führerschein machen, dachte ich bei mir, dann würden die Normalsterblichen (was sie leider zu oft sind) nicht auf diese Weise belästigt.
Jedenfalls stand ich also da und wartete auf die Limousine, es kam aber ... ein Krankenwagen! Da wurde mir bewusst, dass sich einiges verändert in diesem Lande, oder zumindest in dieser Stadt. Normalerweise waren ja die Krankenwagensirenen die leisesten und unscheinbarsten im ganzen Lande und die lautesten waren...na, wie gesagt. Deutlicher kann man das Verhältnis eines Staates zu seinen Bürgern wohl kaum zum Ausdruck bringen. So werden die Prioritäten in jedem Lande anders gesetzt. Aber langsam scheint man sich nun bewusst zu werden, dass doch eigentlich das Volk (hat man dieses Wort nicht lange genug in Großbuchstaben geschrieben?) wichtig ist und menschenwürdige Lebensumstände das Minimum sind, das es erwarten kann. Ich will aber nicht predigen, das können andere besser (die verdienen sogar ihr Geld damit).
Überhaupt scheint die Straße ein Spiegel der Gesellschaft zu sein (spannend ist z.B. die Frage, wer wo parken darf). Manchmal aber empfiehlt es sich, mehrmals und genauer hineinzuschauen. Ein Beispiel: Auf den ersten Blick drängt und drängelt es von allen Seiten auf den Straßen und alle wollen immer die Ersten sein, an der Ampel, beim Einbiegen, beim Überholen. Das ist natürlich manchmal auch gefährlich, aber meistens geht es überraschend gut aus. Für jemanden, der sein Autofahrerdasein vorwiegend auf deutschen Straßen ausgelebt hat, ist der Verkehr hier zunächst nur mit ständigem Zähneknirschen und einem großen Vorrat an Nicht-Zitierfähigem zu ertragen. Mir standen beim Fahren eigentlich immer die Haare zu Berge angesichts der Respektlosigkeit, mit der anderen Autofahrern (und eben auch mir) begegnet wurde. Aber, und hier sollten Sie sich eine bedeutungsschwere Pause denken (vielleicht mal kurz aus dem Fenster gucken oder Ihr Glas nachfüllen), aber die Dinge sind nicht immer was sie scheinen, nicht alles, was Gold ist glänzt und wer einem anderen eine Grube gräbt, braucht noch lange kein Totengräber zu sein. Jedenfalls habe ich kürzlich eine für mich folgenschwere Entdeckung gemacht: Niemand regt sich auf! Egal, wie grob die Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung sind und gleichgültig auch, wie sehr um des eigenen Vorteils willen gedrängelt und gedrückt wird, gleichmütig nehmen die übrigen Autofahrer es hin. Sie bremsen ab, weichen aus, warten, ohne mit der Wimper zu zucken. Und wir alle wissen, dass die wenigsten Menschen auf diesem Breitengrad „Pokerface“ genannt werden können und dass es häufig hoch her geht, auch in aller Öffentlichkeit, manchmal ohne Rücksicht auf Verluste.
Im Straßenverkehr aber herrscht Gleichmut und Ruhe auf den Gesichtern, zumindest was das Verhältnis zu den anderen Verkehrsteilnehmern angeht (wenn der Ehepartner im Auto sitzt, kann es dort durchaus laut zugehen, aber das ist ein anderes Kapitel). Ganz im Unterschied zum Westen, muss ich gestehen. Da ist alles vordergründig ordentlich und akkurat im Verkehr, aber wehe, wenn da jemand auch nur den kleinsten Vorteil für sich nutzt. Da wird geschimpft, gehupt und mit der geballten Faust geschüttelt, das es (k)eine Freude ist. Hier dagegen, wie gesagt, nonchalantes Laissez-faire. Zaghaft habe ich jetzt auch schon mal ein wenig gedrückt und gedrängelt, allerdings mit schlechtem Gewissen. Als sich dann wirklich keiner aufregte, bin ich mutiger geworden. Mittlerweile bin aber wieder ein anständiger Autofahrer und drängele nicht, lasse andere sogar vorbei. Warum? Na ja, in der Regel und fast immer ist man hier gleichmütig und freundlich im Straßenverkehr. Neulich aber hat mich – nach gewissen Querelen - ein Autofahrer kurz vor der Ampel rechts überholt, ist ausgestiegen und hat mir seinen Baseballschläger gezeigt. Da war ich dann doch beeindruckt und habe gemerkt, dass ich noch vieles lernen muss.

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