Journalismus
Grüne Woche und Nabelschau
oder: Der 2. Berliner MOE-Kompetenztag
Wir haben da also: Kohlrouladen, mit Spinat gefüllte Blätterteig-Taschen, süßes Gebäck, Erdnüsse, Schnaps, Wein und Bier. Dann wäre da noch die Musik russischer Roma, die Bücher tschechischer Autoren und die Dracula-Park-Prospekte rumänischer Tourismus-Minister. Als letztes wären vielleicht noch die Reiseprospekte und die Broschüren zu den kroatischen Restaurants und Schönheitschirurgen zu nennen. Et voilà! Damit hätten wir so ungefähr das Gesamtergebnis vorliegen: Die geballte Berliner MOE-Kompetenz an einem Platz versammelt.
Das in etwa bot sich dem an mittel- und osteuropäischen Menschen und Projekten in Berlin Interessierten gestern auf dem 2. Berliner MOE-Kompetenztag im Roten Rathaus. Und es war durchaus wohlschmeckend und hübsch anzusehen, was da präsentiert wurde. Dennoch wurde man den Eindruck nicht los, dass man womöglich doch auf der falschen Veranstaltung...?
Angekündigt war die Veranstaltung, die unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit stand, mit dem Titel „Die Mittel- und Osteuropakompetenz der Stadt Berlin – Mittel- und Osteuropäer/innen in der Stadt“, doch leider hielt sie nicht, was ihr Name versprach.
Nach der offiziellen Begrüßung im bis auf den letzten Platz gefüllten Festsaal des Rathauses durch Monika Helbig, Staatssekretärin und Europabeauftragte des Landes Berlin, hielt der Direktor des Instituts für Europäische Ethnologie an der HU Berlin, Prof. Dr. Wolfgang Kaschuba einen einführenden Vortrag mit dem Titel „Mittel- und Osteuropäer/innen in der Stadt – Chancen und Potentiale (sic!)“. Der nun folgende, kenntnisreiche und durchaus unterhaltsame Vortrag schien das Dilemma der gesamten Tagung vorzugeben. Denn nach einigen sehr anregenden Gedanken zur Definition und Eingrenzung der Begriffe Mitteleuropa und Osteuropa begann der Referent ausgiebig, seine eigene Biografie und die darin enthaltenen Bezüge zum Thema darzustellen. Merke: Wenn man nach MOE-Kompetenz befragt wird, dann schaut man lange in den Spiegel und berichtet anschließend darüber, was man sieht in der Hoffnung, dass die Kompetenzen dem Gegenüber schon deutlich werden. Und dass fast jeder von uns etwas sieht, dass liegt ist wohl klar.
Bei der anschließenden Podiumsrunde war das Verfahren das Nämliche. Ein Vertreter der polnischen Botschaft, ein ungarischer Schriftsteller und eine polnische Geschäftsfrau berichteten von „ihrer MOE-Kompetenz“. Einzig der tschechische Studienleiter der Europäischen Akademie Berlin, Jaroslav Sonka, fiel etwas aus dem Rahmen, da er neben Lob an der Veranstaltung und Anekdoten aus dem eigenen Leben (wie die anderen Redner quasi zur Authentifizierung der eigenen MOE-Kompetenz) Kritik am Verhalten gegenüber Mittel- und Osteuropäern bekundete, dass entweder unwissend, gleichgültig und ignorant oder bis zur Unerträglichkeit freundlich sei.
Im Einführungsvortrag wurde auf die Bedeutung Berlins für das Verhältnis zu Ost- und Mitteleuropa eingegangen und die Rolle, die Berlin schon in den 20er Jahren spielte sowie die Bedeutung, welche die fremden, weil fremdländischen Einflüsse auf das Leben Berlins zur selben Zeit hatten. Ein Bezug zur Gegenwart ließ sich leider nicht finden.
Die Frage, die während der gesamten Veranstaltung unangesprochen im Raume stand und die entsprechend unbeantwortet blieb, war: Nutzt Berlin sein Potenzial an Menschen aus Ost- und Mitteleuropa, die hier mehr (z.B. die russische Community) oder weniger (z.B. die polnische oder die rumänische Community) deutlich erkennbar leben? Wie die brachliegenden Potenziale nutzbar zu machen wären, auch diese Frage wurde nicht gestellt.
Also besinnt man sich auf die Grundlagen des Lebens, zeigt was man kocht und wie man singt und wie schön die Natur des Heimatlandes doch ist.
So lassen sich die MOE-Kompetenzen in und für Berlin ganz bestimmt nicht nutzen. Prost! Noroc! Nasdorowje!
Ambulito - 3. Jun, 18:29
1942 schreibt der französische Dichter Albert Camus den Roman „L’Etranger“ (Der Fremde“). 37 Jahre später – im Jahre 1979 - komponiert der Engländer Robert Smith das Lied „Killing an Arab“, welches das Buch von Camus als Vorlage nennt. 2001 verfasst der Göttinger Autor Roland Schimmelpfennig das Stück „Die arabische Nacht“. 2005 wird es am Radu-Stanca-Theater in Hermannstadt in der Inszenierung von Radu Nica an der Deutschen Abteilung aufgeführt.
Ein interessantes Phänomen: Wir werden immer älter, das Theater immer jünger. Ernährt es sich etwa von uns? Und, die viel wichtigere Frage: Verstehen wir uns noch?
Ein langer heißer Tag in einer Stadt geht zu Ende. Das gleißende Sonnenlicht blendet die Menschen auf der Straße. Wir befinden uns in einem Hochhaus in einem Land, wo die Menschen Lohmeier, Karpati, Kalil, Franziska und Fatima heißen. Es gibt ein Problem mit dem Wasser, der Fahrstuhl ist kaputt. Einer beobachtet eine beim Duschen, eine andere träumt von wieder anderen, die beiden, die zueinander gehörten, gehen getrennte Wege im Verlaufe des Abends, es gibt einen Mord (gibt es einen Mord?) und einen Mann in einer Flasche.
Das Theater auf der Suche nach sich selbst geht seltsame (Um-)Wege: über ein anderes Medium. Wie der Film verwendet es moderne Musik und Geräusche, um Gefühle zu evozieren und Szenenwechsel zu vollziehen. Wie der Film springt es zwischen Perspektiven und Einstellungsgrößen hin und her.
Was ist das Ergebnis?
Es ist ein rasantes Stück, das den Atem nimmt. Und es ist ein Stück, das von dem jungen Team lebt, das es auf die Bühne nach Hermannstadt gebracht hat. Die Lust am Spielen ist während der Aufführung in jeder Sekunde spürbar und überträgt sich auf die Zuschauer. Die übrigens auf der Bühne sitzen.
Andere Ideen bei dieser Inszenierung sind besser, manche großartig. Die beste wahrscheinlich die Einführung einer zusätzlichen Person auf der Bühne, die von erhöhtem Platze aus verschiedene Funktionen übernimmt: Ton-Ingenieurin, Reflektor-Figur, Akteurin, manchmal Kommentatorin.
Auch vom Hörspiel scheint das Stück Anleihen zu nehmen: Die Handlungen der Schauspieler - die sich übrigens in der Regel mit sich selbst beschäftigen und kaum echte Gespräche führen – werden von ihnen selbst beschrieben, so dass man streckenweise mit geschlossenen Augen teilhaben kann.
Wen wollen wir loben, wen tadeln? Gelobt werden sollen alle Beteiligten, die mit dem erfolgreichen und – immer noch – jungen Regisseur Radu Nica Mut und Lust bewiesen haben, dieses Stück auf die Bühne zu bringen.
Tadel ist heilsam, Tadel hat eine abschreckende Wirkung, deshalb soll der Autor heute in der Ecke stehen: Roland Schimmelpfennig hat ein Stück geschrieben, das nett zu goutieren ist und dem Zuschauer aufzeigt, dass die Menschen in der großen Stadt einsam sind und nicht wahrhaftig zueinander finden. Und dass es keine Kommunikation gibt. Bravo. Wer will, der kann auch die Problematik der Geschlechter und der multikulturellen Gesellschaft sowie die Rohstoffknappheit und die globale Erwärmung in diesem Stück finden. Ich will nicht.
Ambulito - 3. Jun, 18:23
(Fast) 400 Hochzeiten und 1 (nicht tödlicher, doch kritischer) Fall
Die europäische Kulturhauptstadt 2007, Hermannstadt, läuft sich im Augenblick warm und gibt eine Kostprobe dessen, was sie zu leisten imstande ist. Das 11. Internationale Theaterfestival bietet allen an Kultur Interessierten eine fast unüberschaubare Vielzahl an Möglichkeiten zur Erweiterung des eigenen Horizontes. Seit letztem Freitag (28.5.) gibt es in und um Hermannstadt so gut wie keine kulturfreien Zonen mehr. Dabei zeigt sich, dass fast das gesamte Spektrum der gegenwärtigen Theaterkunst abgedeckt wird, angefangen von klassischem Theater, über Boulevardbühne, „Boombastic“-Events bis hin zu experimentellem, minimalistischem Avantgarde-Theater. Eine kleine, subjektive Auswahl, der keine qualitativen, sondern pragmatische Kriterien zugrunde liegen (= die Fußfaulheit des Rezensenten): Am Samstag spielte die Taubstummen-Gruppe „I Cannot Hear Theatre“ aus der Tschechei ihre Version der Odyssee am Radu-Stanca Theater. War diese Inszenierung in den ersten Minuten noch schwer zugänglich, so gelang es den Schauspielern im weiteren Verlauf, mit einfachen Mitteln, dafür mit viel Phantasie und großem dramaturgischen Geschick beeindruckende Bilder zu schaffen, die nachhaltig auf die Zuschauer einwirkten. So verblüffte die Szene in der Höhle des Zyklopen: Der Schatten eines Schauspielers, hinter einem transparenten Paravent zu zyklopenhafter Größe angewachsen, davor Odysseus und seine Getreuen, die dem Zyklopen schließlich den Garaus machen. Im Unterschied zu dieser Inszenierung konnte das Stück „Odiseea 2001“ des kroatischen „Workshop Theatre Gustl“ am Montag im Gong-Theater nicht in der gleichen Weise überzeugen. Zu sehr wurde hier auf die Effekte von sehr lauter elektronischer Musik und Video-Einspielungen vertraut. Interessant und sehenswert war diese Inszenierung jedoch allemal. Apropos Effekte, und hier begibt man sich wahrscheinlich auf sehr dünnes Eis. Der Hermannstädter Hof-Regisseur McRanin präsentierte am Samstag auf dem Großen Ring seine Version des „Satiricon“ mit Schauspielern aus Hermannstadt. Im Vorfeld hieß es bereits: „Ach McRanin, da kracht und knallt es wieder gewaltig, und Feuerwerke schießt er sicher auch wieder ab.“ Genau so war es dann auch. Die Meinungen der Zuschauer im Anschluss an diese große und pompöse Inszenierung waren extrem gespalten und reichten von „super, beeindruckend!“ bis hin zu „aufgeblasenes Dorftheater ohne Sinn und Verstand!“. Zwei andere Inszenierungen am selben Abend (Samstag) beeindruckten dafür sicherlich durch ihre Schlichtheit. Das A-Capella-Konzert der mexikanischen Sangesgruppe „Voz en Punto“ in der evangelischen Kirche war schlicht und einfach schön: Melodien, die Herz und Seele erfreuen, dazu die äußerst sympathischen Sängerinnen und Sänger, was will man mehr?
Schwieriger, dabei nicht weniger spannend war die Inszenierung von „Dans.Kias&Saskia Hölbling“ aus Österreich mit dem Titel „Corpuri de expozitie“. Auf der nackten Bühne verdrehte, krümmte und wälzte sich eine fast ebensolche Frau eine halbe Stunde lang zu nicht näher definierbaren Geräuschen aus den Lautsprechern. Manchem Zuschauer war das zu kompliziert, zu komisch, zu doof, doch wenn man mutig genug war und blieb, fing ab einem bestimmten Moment die eigene Interpretationsmaschine im Kopfe an zu arbeiten: Erleidet sie Qualen, empfindet sie Lust, womit kämpft sie oder wogegen, was macht sie da? Ein anregendes Erlebnis, das sicher das Verbleiben wert war.
Eine ganz besondere Inszenierung war eindeutig auch „Inapoi in U.R.S.S.“ des Art&Shock Theaters aus Kasachstan am Sonntag im Gong-Theater. So meinte auch einer der Gäste auf der Pressekonferenz am Tage danach, dass diese Inszenierung eine der fünf oder sechs wirklich sehenswerten aus den letzten acht Jahren sei (an dieser Stelle ein kurzes Zusammenzucken von C. Chiriac, dem langjährigen Organisator des Festivals): Drei Schulmädchen blödeln herum, dabei die verschiedenen Stationen einer typischen Jugend im Kommunismus darstellend (Eintritt bei den Pionieren, der erste BH, etc.). Begleitet wurde das Stück von russischer Musik (Folk und Pop). Eine solche Spiellust und –leidenschaft sieht man selten. Überraschend dabei, dass dies die Erstaufführung des in der Improvisation entstandenen Stückes war, wie man in der Pressekonferenz erfahren konnte. Großartiges Stück mit absoluter Lachgarantie, damit ein guter Grund, mal wieder zum Einkaufen nach Almaty zu fahren.
Am Montag spielte das vierte Studienjahr der UNATC Bukarest [keine Ahnung, wie das ausgeschrieben wird!] „Opt Femei“ im Armeehaus. Eine schwierige Aufgabe, vor allem wenn man die Verfilmung kennt, in der die Creme der französischen Schauspielerinnen mitspielt (Fanny Ardant, Catherine Deneuve, Emmanuelle Beart, Isabelle Huppert, etc.). Die Damen aus Bukarest konnten aber ebenfalls überzeugen mit ihrer Inszenierung dieser wirklich guten Geschichte über das schwache Geschlecht (haha!).
Man kann schon anhand dieses kleinen Einblicks in das Festival-Geschehen sehen, dass sich der Besuch lohnt. Neben all den Inszenierungen gibt es überdies jeden Abend Konzerte unterschiedlichster Couleur auf dem Großen Ring, natürlich mit Mici und Bier.
Schön wäre es natürlich auch gewesen, wenn mehr Stücke übertitelt oder anders in Übersetzung erlebbar wären, doch ist dies sicherlich auch den vorhandenen technischen Möglichkeiten zuzuschreiben.
Was jedoch absolut unverständlich und ärgerlich ist, dass ist die Art und Weise, wie Programmänderungen vorgenommen werden. Jeden Tag gibt es unzählige Änderungen, die nur dem Eingeweihten und selbst dem nur in Bruchstücken bekannt sind. Selbst wenn man in der privilegierten Lage ist, über Freunde und Bekannte in der Stadt zu verfügen, die rumänische Sprache zu beherrschen und regelmäßig über den Computer mit aktuellen Programmänderungen versorgt zu werden, wird man sicherlich nicht auf dem aktuellsten Stand der Dinge sein. Ein kleines Beispiel: Montag im Geschichte-Museum ist geplant um 17.30 Uhr eine russische Gruppe und um 21.30 eine deutsche. Um 16.oo Uhr erfährt man mittels E-Mail, dass die deutsche Gruppe bereits um 17.30 Uhr spielt. Fein und gut zu wissen. Wenn man dann aber um 17.20 am Tor des Geschichte-Museums liest, dass dort am Montag gar nichts gespielt wird, tja, dann wundert man sich.
Wie ergeht es einem theaterliebenden Paar aus dem nichtrumänischsprachigen Ausland, dass nur wegen des Festivals herkommt? Werden die wiederkommen, wenn sich solche Fälle wiederholen (und es gibt sie ständig)? Aus Erfahrung von anderen – und wesentlich größeren - Festivals weiß man, dass dort Programme bereits Wochen vorher erhältlich sind und auch exakt eingehalten werden. Dies soll nicht heißen, dass jede Veranstaltung auf die Minute pünktlich beginnt, doch werden Programmpunkte nicht wie Lokomotiven auf einem großen Spielzeugeisenbahn-Rangierbahnhof beliebig hin- und her geschoben. Ist das Willkür, Ignoranz, oder einfach Unfähigkeit?
So toll und großartig das Festivals auch ist, an diesem Punkt muss entschieden nachgebessert werden, sonst macht sich bald kein Gemüsehändler vom Zibinsmarkt mehr die Mühe, für eine Inszenierung hinauf in die Oberstadt zu kommen. Ganz zu schweigen von den Gästen, die einen etwas weiteren Weg hierher haben.
Ambulito - 3. Jun, 18:07
Es war einmal eine junge Frau, die lebte mit ihrem Mann und ihren drei Kindern zusammen in einem Haus. Weil sie durch einen kleinen Betrug vor Jahren ihrem Mann das Leben gerettet hatte, ist sie jetzt in Schwierigkeiten. Weil ihr Mann diese ihre Hilfe nicht als solche ansieht und die Ehe von Nora und ihrem Mann ohnehin eine seltsame ist und weil das Leben einer Frau in der von Männern dominierten Welt ohnehin nicht leicht ist, verlässt sie ihn schließlich. Gründe hat sie genug.
Das ist in etwa die Handlung des Stückes „Nora (Ein Puppenheim“ von Henrik Ibsen, das am vergangenen Samstag im Hermannstädter Radu Stanca Theater von dem jungen Regisseur Radu-Alexandru Nica präsentiert wurde.
Das Publikum beendete den Premierenabend mit lang anhaltendem Applaus und stehenden Ovationen und in der Tat: Es war eine kurzweilige Inszenierung, die auf intelligente Art das Publikum bei Laune hielt.
Dem Regisseur stand bei seiner teilweise formal mutigen Inszenierung ein junges und spielfreudiges Ensemble zur Seite, das durchweg überzeugte.
Der Versuch der Regie, andere Wege zu gehen, ließ sich bereits vor Beginn des Stückes ahnen. So wurde – zur Einstimmung – dem Publikum beim Einlass und vor Beginn des Stückes mittels Videoprojektion eine Umfrage zum zwischenmenschlichen Miteinander präsentiert. Das minimalistische Bühnenbild, karge klinisch-weiße Wände mit dünnen, roten Strichen (angedeutete Blutspuren?) und im Hintergrund drei schmale Ausgänge - der mittlere als einziger mit Tür, der Zugang zum Büro des Ehegatten – wies ebenfalls in diese Richtung.
Die radikale Kürzung des Textes bewirkte eine interessante Zuspitzung der im Stück angelegten Konflikte, was durch verschiedene Einfälle der Regie noch verstärkt wurde. So wurde das gesamte Stück von sich wiederholenden, musikalischen Phrasen begleitet, und auch die Popmusik erhielt ihren Raum. Und um das grundlegende Problem – die Schwierigkeiten der Kommunikation – deutlich zu machen, sprachen die Darsteller niemals zueinander, sondern immer in verschiedene Richtungen. Durch die Kürzung des Textes wurden die Personen in der Ausmalung ihrer Charaktere schablonenhaft skizziert. Der Verlust der Mehrdimensionalität war die Folge, was aber perfekt ins Konzept der Inszenierung passte.
Insgesamt führten diese Ideen und Einfälle zu einer kurzweiligen und modernen Aufführung.
Inhaltlich war diese Inszenierung jedoch leider alles andere als modern.
Wir erinnern uns noch einmal an das Stück von Ibsen (das übrigens von dem ersten deutschen Übersetzer in „Nora (Ein Puppenheim)“ umgetitelt wurde): Nora ist eine junge Frau, die ihr Schicksal in die Hand nimmt und ihren Mann verlässt, da ihr das Leben an seiner Seite unerträglich ist. Bei Ibsen verlässt Nora das Haus. So endet das Stück. In Hermannstadt verharrt Nora mit den Koffern in der Hand, als ihre Tochter in der Tür erscheint. Das Stück endet. Die Eindeutigkeit Ibsens ist aufgehoben, der Befreiungsakt der emanzipierten bzw. sich emanzipierenden Frau ebenfalls. Und überhaupt ist die hiesige Nora in keinem Augenblick die emanzipierte Frau. Sie ist vielmehr das Weibchen, das sexy durchs Haus schwebt, bei jeder Gelegenheit die Strumpfbänder aufblitzen lässt und ihren Körper genau dann einsetzt, wenn es eben opportun ist. Ist das die Rückkehr zu den alten Werten, wo die Frau sich noch um den Haushalt, die Kinder und den Hormonhaushalt des Ehemannes zu kümmern hatte? Das Ende zumindest passt hinein.
Es gibt auch noch ein anderes Problem in der Inszenierung, ein logisches: Denn eigentlich hat Nora kein Motiv mehr, ihren Mann zu verlassen. Zugegeben, es gibt ein Kommunikationsproblem zwischen Nora und ihrem Mann, der sie überdies nicht anders behandelt als ein kleines, niedliches Lustobjekt, ein Püppchen für sein Puppenheim. So war es zumindest bei Ibsen. Im Radu Stanca Theater gibt es jedoch kein spezielles Problem zwischen Nora und ihrem Mann. Alle, wirklich alle Protagonisten haben Schwierigkeiten mit der Kommunikation. Niemand spricht zum anderen von Angesicht zu Angesicht, alle sprechen irgendwohin. Alle in dieser „Puppenwelt“ kommunizieren nicht miteinander, eher gegeneinander oder nebeneinander. Puppen, Schablonen, Klischees sind überdies alle miteinander, auch Torvald, Noras Mann. Warum also sollte Nora ihn verlassen? In dieser Welt, in der nicht miteinander gesprochen wird, gibt es keinen Grund, seinen Lebenspartner wegen Kommunikationsproblemen zu verlassen. Ohnehin wirkt Nora nicht sehr überzeugt, wenn sie unbeweglich da steht und mehrmals sagt: „Ich möchte weg!“
So verlässt der Zuschauer das Theater nach einer unterhaltsamen Aufführung und kann zufrieden feststellen, dass alles in Ordnung ist: Die Frau erinnert sich im Angesicht ihres Kindes an ihre weiblichen Pflichten, und wird sich weiterhin mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln – inklusive halterloser Strümpfe – durchschlagen. Ansonsten gibt es Schwierigkeiten mit der Kommunikation, weil es aber allen so ergeht, ist es auch nicht weiter tragisch. So what?©
Lieber Regisseur: Mach’ bitte weiter so in Deinen Inszenierungen. Gib uns ein anderes, ein neues Theater, denn das ist es, was wir wollen. Doch bitte bitte versuch’ nicht, uns hinterrücks die Werte der Altvorderen wieder einzutrichtern. Und mache nicht aus einem modernen Stück den Lobgesang auf alte Werte, denn das brauchen wir ganz bestimmt nicht!
Ambulito - 3. Jun, 18:03
Tja, ein schwieriges Unterfangen, das dem Rezensenten da auferlegt wurde. Es gilt, eine Kritik zu verfertigen über ein kurzes Theaterstück, von dem er fast nichts weiß. Er kennt: Die zu besprechende Inszenierung der übersetzten Fassung und Randinformationen des Programmheftes. Das wahre Problem aber liegt jenseits davon. Die überwiegende Mehrheit der Leserschaft dieser Zeitung nämlich kennt das Stück in der Originalfassung und womöglich auch in diversen Inszenierungen, vom Theater oder aus dem Fernsehen.
Es gilt nun also, aus der Not eine Tugend und aus dem leeren Blatt eine passable Besprechung zu machen.
„Herr Leonida und die Reaktion“ in der Inszenierung von McRanin, die am 19.03.2002 an der Deutschen Abteilung des Radu-Stanca-Theaters Hermannstadt aufgeführt wurde, war mit gewisser Spannung erwartet worden, da es von allen Seiten tönte, dieses Stück, wie überhaupt alle Stücke von Ion Luca Caragiale, seien nicht übersetzbar. Der eigentliche Witz und Reiz in Caragiales Werken liege so tief im Sprachlichen verwurzelt, dass ein sprachlicher Transfer nur unter Preisgabe der vielfältigen Nuancen des Originals möglich sei. Die Information darüber, wer sich an die Übersetzung des inszenierten Stückes gewagt hat, bleibt uns das Programmheft schuldig. Und ob diese als ge- oder misslungen zu bezeichnen ist, darüber wird vorliegende Besprechung schweigen (müssen).
Die Hermannstädter Inszenierung selbst aber bot einen facettenreichen Einblick in die Tiefen des ganz gewöhnlichen, dabei unglaublich bizarren bürgerlichen Surrealismus oder surrealistischen Bürgertums. Das an expressionistische Stummfilme erinnernde Bühnenbild (für das auch der Regisseur verantwortlich zeichnet) stellt schwarz-weiß stilisiert ein Schlafzimmer mit kühn geschwungenem Mobiliar dar. Zu Spieluhrklängen und in kaltem Licht erscheinen die beiden Hauptpersonen, Herr Leonida und seine Gattin Efimitza (Georg Potzolli und Renate Müller-Nica). Nachtwäsche tragend und grell überzeichnet geschminkt führen die zwei einen Reigen auf, wie man ihn von Glockenspielfiguren oder Aufziehpuppen kennt: Abgehackte, roboterartige, wie ferngesteuerte Bewegungen, ohne jeglichen Eigenantrieb und ohne erkennbare Motivation. Im sich anschließenden Gespräch entlarven sich die beiden als typisch halbgebildete Bürger, wobei – geschlechterrollenadäquat – Mitzi als die Dumme, Fragende und Leonida der Belesene, Informierte und damit Auskunftgebende erscheint. Das es um Leonidas Wissen auch nicht zum Besten bestellt ist, wird im Gespräch deutlich, da er häufig mit klugen - sogar ausländischen - Wendungen annähernd nichts zu sagen in der Lage ist, wenn er sich nicht selbst widerspricht. Das Paar wechselt vom Tisch in die Betten und wird von Lärm aufgeschreckt, den der kluge Leonida als Anzeichen für den Ausbruch der Revolution und sich somit als gefährdet erklärt. Die Sorge verwandelt sich in Panik, als Safta, die Magd (Monika Dandlinger), an der Tür klopft. Nachdem Mitzi die Angst überwunden, die Magd als diese erkannt und ihr die Tür geöffnet hat, erklärt Safta den Lärm mit dem Faschingstreiben auf der Straße. Die Automatenmusik vom Anfang des Stückes hebt an, Safta zieht ihre Herrschaften wie zwei Spieluhren auf und diese beginnen erneut mit ihrem Reigen, von Safta mit schallendem Gelächter beobachtet.
Auch nach Ende des Stückes marschieren die beiden Hauptdarsteller noch wie Maschinenmenschen über die Bühne und verneigen sich mechanisch vor einem begeisterten Premierenpublikum.
Mit diesem Stück präsentierte die Deutsche Abteilung des Radu-Stanca-Theaters einen wohl zeitlosen Ausflug nach Absurdistan, hinein in die Welt der Neunmalklugen, Halbgebildeten und um ihr eigenes Wohl Ach-so-Besorgten. Durch die surreal anmutende Inszenierung kann das Stück trotz der historisch scheinenden Bezüge in den Dialogen – wenn da die Rede ist von der Revolution, von Garibaldi bzw. „Galibardi“ etc. – immer auf seine aktuelle Relevanz gerade in seiner Zeitlosigkeit gelesen werden, was sicher den Reiz dieses Stückes und gerade auch der speziellen Inszenierung in Hermannstadt ausmacht.
Und auch ein Unwissender, der rumänischen Kultur in seiner naiven Unschuld geradezu als Banause Gegenüberstehender, als welcher sich der Rezensent zuweilen fühlt, geht an diesem Abend mit dem Gefühl nach Hause, „eben doch“ etwas verstanden und den Abend durchaus genossen zu haben. Beim flüchtigen Austausch nach dem Stück an der Garderobe und im Foyer überkam den Rezensenten jedoch mehrfach das Gefühl, als habe er die Inszenierung nicht „trotzdem“ genossen, sondern womöglich auch „gerade weil...“!
Ambulito - 3. Jun, 18:02
Schon komisch, wenn man längere Zeit im halb abgedunkelten Zuschauerraum eines Theaters sitzt und nichts passiert. Man sitzt da und sinniert vor sich hin: Ob wohl vergessen wurde, das Licht vollständig zu löschen; ob jemand es rechtzeitig bemerken wird, oder ob man vielleicht selber...? Doch halt, ist dies nicht ein modernes Theaterstück? Aber ja, klar! Obendrein ein Einpersonenstück, typisch, und der Autor hat doch diesen Roman geschrieben, mit dem er unglaublichen Erfolg hatte und wohl immer noch hat, worauf man dann dieses Stück von ihm wieder ausgegraben hat und es ein großer Bühnenerfolg wurde. Ansonsten weiß man fast gar nichts über ihn, weil er zurückgezogen irgendwo in Frankreich leben soll, angeblich. Na ja, da kann es schon mal sein, dass man vergisst, das Licht zu löschen und dann so tut, als sei es richtig so!
Während man so vor sich hinsinnt, derweil ringsum die Stille wieder in leises Gemurmel übergegangen ist, betritt ein Mann mit lautem Geklirr aus den Tiefen der Plastiktüte in seiner Hand den Zuschauerraum, wünscht eiligen Schrittes einen guten Abend und... betritt die Bühne.
So recht wussten die Zuschauer nicht, was sie davon halten sollten, als ebendieses Dienstagabend im Hermannstädter „Radu Stanca“-Theater geschah. Einige erwiderten den Gruß, andere begannen zaghaft zu applaudieren, wieder andere verhielten sich unauffällig und machten so einen abgeklärten, kulturerfahrenen Eindruck.
Jener Herr aber hatte inzwischen von der Bühne Besitz ergriffen, die klirrende Tüte - die, wie sich noch herausstellen wird, voll Bierflaschen ist - abgestellt, sich vor dem Publikum verneigt (hat er? oder hat er sich vielmehr in seiner Rolle vor einem fiktiven Publikum verneigt?) und zu erzählen begonnen. Er sei Kontrabassist und sein Instrument ein ganz besonderes. Dieses sein Instrument im allgemeinen und sein Verhältnis dazu im einzelnen wird dann auch Thema des Abends sein. Man darf sich die Vorstellung nun aber nicht als eine Einführung in die Instrumentenkunde, Kapitel Kontrabass, vorstellen, mitnichten. Der Mensch auf der Bühne, ein Mittfünfziger mit Hang zur Gemütlichkeit um die Hüfte herum, ist von Beruf Orchestermusiker bei der Staatsoper, damit Beamter, ein Künstler mit Tarifvertrag also, was für sein Verhältnis zur Musik nicht unwichtig ist. Dieses sein sehr spezielles Verhältnis zur Musik und zu seinem Kontrabass ist äußerst ambivalent, man kann wohl sagen, dass ihn eine Hassliebe mit seinem Instrument verbindet. Wie er im Laufe des Abends sowohl real wie verbal um sein Instrument herumschleicht, dabei eine große Menge Alkohol zu sich nimmt („der Flüssigkeitsverlust, Sie verstehen!“), was die Stringenz seiner Erzählung nicht gerade befördert, dabei über unterschiedlichste Themen fabuliert, um schließlich wieder und wieder zu seinem Kontrabass zurückzukehren (der ja unübersehbar auf der Bühne steht), das ist schon toll anzusehen und -hören. Dabei werden alle emotionalen Register gezogen, vom albernen Schenkelklopfer bis zum leisen mitfühlenden Schluchzer wird dem Zuschauer alles abverlangt.
Was Wolfgang Wolter (München) dem Publikum präsentierte, war sicherlich eine Meisterleistung. Er hat das Stück von Patrick Süskind seit 1987 im Repertoire und man merkt Wolter die Erfahrung positiv an. Jede Nuance im Stück ist wohlgesetzt und jede Bewegung, jedes Gefühl überzeugend akzentuiert. Gefühle hat er ja eine Menge, dieser Kontrabassist, der sich wegen seines Instruments als das Letzte im Orchester sieht und auch sonst allerlei Leid zu ertragen hat („Der Kontrabass ist kein Instrument, sondern ein Hindernis“). Er stört eigentlich immer und bei allem, bei Ausflügen wie beim Sex. Außerdem verhindert er sogar, dass ihn die Sängerin seines Herzens überhaupt bemerkt.
So sinniert der Musiker während einer kleinen kalten Mahlzeit und vor einer Opernpremiere in der Staatsoper („Karten bis zu 650,-DM, lächerlich!“) über die Niederungen seiner Kontrabassisten-Existenz und kommt schließlich auf eine anarchistische Idee, die ihm die Aufmerksamkeit von Sarah, der Sängerin sichern, dafür aber die Sicherheit seiner beruflichen Position sehr wahrscheinlich beenden wird: Während der Aufführung laut ihren Namen zu brüllen. Die Idee fasziniert ihn und während er hinten von der Bühne ab- und dem Konzert zugeht, ruft er mehrfach begeistert „Sarah!“. Ob er seinen Plan in die Wirklichkeit umgesetzt hat, wir wissen es nicht. Genau wissen wir aber, dass wir Zuschauer einen äußerst unterhaltsamen Theaterabend und ein Wechselbad der Gefühle (inklusive Neid ob des Drogenmissbrauchs mittels Bergenbier und diverser Tabakwaren auf der Bühne) erlebten, was uns am Ende begeisterte, spitze Schreie ausstoßen ließ.
Ambulito - 3. Jun, 18:00
Die diesjährige Spielzeit der deutschen Abteilung des Hermannstädter „Radu Stanca“-Theaters wurde am 2. Oktober mit einer ungewohnt leichtfüßigen und rasanten Inszenierung eingeläutet. Gespielt wurde Dario Fos Einakter „Der Dieb, der nicht zu Schaden kam“. Dario Fo ist als Dramaturg kein Unbekannter (Literaturnobelpreis 1997), mir persönlich in (nicht immer guter) Erinnerung mit zwei Merkmalen: Einmal das immer präsente sozialkritische Element und sein manchmal wunderliches Verständnis von Humor (das ansonsten vorwiegend in italienischen Komödien der 70er Jahre begegnet). Ich zumindest kann mir gut das Schenkelklopfen verkneifen, wenn sich auf der Bühne der Kopf gestoßen oder das Sitzmöbel verpasst wird. Natürlich kann man dies als typische Elemente der Commedia dell’arte bezeichnen, lustiger wird es damit aber nicht.
Die junge Regisseurin Alexandra Gandi wählte jedoch einen anderen Weg, indem sie den Frontalangriff inszenierte und so den Vorwurf der Albernheit ins Leere laufen lässt. Wenn der Hausherr z.B. seine Geliebte kurz fragt: „Piccolo?“ und sie ihm antwortet: „Piccolo!“, was mehrfach wiederholt wird um in eines der wohlbekannten italienischen Poplieder („Piccolo amore“) zu münden, dann muss man neidlos zugestehen, dass es auf eine seltsame Art unglaublich doof und zugleich wiederum auch sehr lustig ist. Es gibt einige Gesangseinlagen in dem Stück, die alle nach dem beschriebenen Muster funktionieren und dem ganzen Abend eine leichte, verspielte, manchmal alberne, insgesamt aber äußerst unterhaltsame Nuance (wie sich an den Reaktionen des Publikums zeigte) verleihen. Das bunte Bühnenbild mit den aufblasbaren transparenten Sitzgelegenheiten unterstreicht dabei die verspielte Leichtigkeit der ganzen Inszenierung. Die Handlung des Stückes ist die einer typischen Verwechslungskomödie im Boulevardtheaterstil, d.h. mit Situationskomik, leichten Anzüglichkeiten und Lügengeschichten, insgesamt gut vorhersehbar, so dass man sich voll auf das situative Spielen der Darsteller konzentrieren kann ohne Gefahr zu laufen, dem Handlungsverlauf nicht mehr folgen zu können:
Ein Dieb (Franz Kattesch) bricht nachts in eine Wohnung ein, nicht ohne seiner Frau vorher genau die Adresse geben zu haben. Diese (Monika Dandlinger) ruft natürlich an (in der Inszenierung großartig gelöst durch eine Ecke der Wohnzimmerkulisse, die als dunkles Seitenfenster fungiert und beim Telefongespräch schwach erleuchtet die Ehefrau zeigt), worauf sich die üblichen Eheleute-Streitgespräche ergeben. Der Dieb wird vom Hausherrn (Georg Potzolli) und seiner Geliebten (Johanna Adam) gestört, kann sich aber in der Standuhr verstecken, wo er dann das weitere Geschehen beobachtet, bis er schließlich entdeckt wird.
Später wird die Ehefrau des Diebes noch einmal anrufen und weitere Personen werden hinzukommen: Maria (Renate Müller-Nica) und Antonio (Roger Parvu), deren Funktion hier nicht verraten sei (es versteht sich aber von selbst, dass auch diese Figuren verheiratet sind und eine Affäre haben). Wie gesagt, nichts Neues und niemand hatte wohl im Theater den Eindruck, dass die Regisseurin dem Publikum etwas Nachdenkenswertes oder gar Lebenswichtiges mitteilen wollte, außer vielleicht: „Die Deutsche Abteilung des Radu-Stanca Theaters ist wieder da und will – verdammt nochmal - unterhalten!“ Dieser Wunsch ist jedenfalls in Erfüllung gegangen, gelangweilt hat sich sicher niemand, und viel zu schnell war dann alles vorbei. Die Schlusspointe war vielleicht etwas lahm, der Applaus für die glanzvolle Leistung des Hermannstädter Ensembles unter der Leitung Alexandra Gandis dann jedoch wohlverdient stürmisch und anhaltend.
Ambulito - 3. Jun, 17:58
Viele Menschen wissen sicherlich, daß der letzte Samstag der Tag des Heiligen Pankratius war. So etwas weiß man eben, warum auch immer. Die meisten aber werden neulich nicht mitbekommen haben, daß der Welttag des Buches stattfand (wann war das noch?). Für die aufmerksamen und interessierten Zeitgenossen nun aber die 1-Millionen-Lei-Frage: Wie heißt denn eigentlich das Jahr, in dem wir uns gerade befinden? Für die Ignoranten oder Nicht-ganz-so-gut-Informierten hier die Antwort: 2001 ist das „Europäische Fremdsprachenjahr“! Gewußt? Bravo! Manche Menschen aber wissen nicht nur davon, sondern tun auch etwas dafür. Wie z.B. eine Gruppe von Studierenden der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt unter der Anleitung von Sunhild Galter und Liane Junesch. Zurückgehend auf eine Idee von Prof. Dr. Horst Schuller, dem Leiter des Lehrstuhls für Germanistik und unter der Regie von Frau Lilli Krauss-Kalmar inszenierte eine Gruppe von insgesamt 12 Studierenden einen Ausschnitt aus Wilhelm Buschs „Max und Moritz“, dies aber nicht einfach so, sondern polyglott, mit anderen Worten acht-(in Zahlen 8-)sprachig! Im Spiegelsaal des Deutschen Forums in Hermannstadt führten sie am Donnerstag, dem 10. Mai, den ersten Streich des bekannten Kinderbuches auf (Zur Erinnerung: Das ist der Streich mit Witwe Bolte, langen Hälsen und bangen Gesängen!). Aber wie kann man sich das vorstellen? Mit genau dieser Frage im Kopf saßen auch wir Zuschauer auf unseren Stühlen und warteten auf des Rätsels Lösung. Zuvor allerdings trugen Studentinnen des 3. Studienjahres LMA Gedichte zum Thema Sprachen/Fremdsprachen vor („Aphasie“, „Esperanto“ etc.).
Doch dann begann das Spektakel: Acht junge Menschen (sieben davon weiblich) betraten den Saal und anschließend die Bühne, deren Hintergrund mit einem weißen Tuch abgetrennt blieb. Dabei waren sie aufgrund ihrer Kleidung relativ leicht zu erkennen als: Sächsin, Französin, Deutsche, Spanierin, Engländer, Rumänin, Italienerin und Ungarin. Sie gruppierten sich um das weiße Tuch und begannen, eine nach der anderen (und dazwischen auch der englische Gentleman) die einleitenden Worte von Max und Moritz zu rezitieren. Dabei wurden sie von landestypischer Musik begleitet. Jetzt ahnte man auch bereits, welche Rolle das Laken im Hintergrund spielte: Es diente als Leinwand zur Projektion einzelner Bilder aus dem Buch von Wilhelm Busch. Während das freche Treiben der beiden Buben seinen Lauf nahm, immer kommentiert in den acht auf der Bühne repräsentierten Sprachen, eröffnete sich dem Publikum aber noch eine weitere Dimension des weißen Tuchs: In der Art des Schattenspiels agierten zwei Schauspieler (die sich nach dem Stück als –innen offenbarten) als Max und Moritz pantomimisch hinter der Leinwand und stellten so dar, was währenddessen achtsprachig beschrieben wurde. Der Eindruck war überzeugend und faszinierend zugleich. So mancher Zuschauer schien zwar hin und wieder seine Zweifel an dem ganzen Unterfangen zu haben, so eine ca. Neunjährige, die mehrmals irritiert in den Raum fragte: „Ce limbă vorbesc ăia?“ Für all die anderen aber war der Abend ein großer Spaß. Zum einen die schauspielerischen Leistungen hinter und auf der Bühne, denn auch die acht Rezitatoren standen und saßen nicht nur da, in fremde Kleidung gezwängt und sprachen in fremden Zungen. Nein, auch sie agierten so landestypisch, wie es möglich war: Die Französin, nonchalant einen Fächer bewegend, die Spanierin, leidenschaftlich ihre Strähnen aus dem Gesicht streichend, die Italienerin mit den Händen in den Hüften und der Engländer, na ja, britisch eben. Wunderbar, das Schauspiel zu betrachten. Zum andern war da aber noch die sprachliche Seite und das Erstaunen, das es provozieren kann, wenn man denselben Text nacheinander in unterschiedlichen Sprachen hört, von denen – wahrscheinlich – keiner der Zuschauer alle beherrschte. So wurden der Intellekt wie auch die Sinne an diesem Abend von allen Seiten gehörig gekitzelt.
Für all diejenigen unter den Lesern, die jenes babylonische Spektakel nicht genießen konnten, gibt es aber einen Trost: Das Europäische Fremdsprachenjahr 2001 dauert einschließlich bis zum 31.12.2001. Jetzt sind Sie dran!
Ambulito - 3. Jun, 17:56
„Man spielte den Clavigo (...). So vortrefflich war die Rollenbesetzung in diesem Stück bis auf die unbedeutendsten Nebenrollen. – Reiser kannte alle diese vortrefflichen Schauspieler – war es wohl zu verwundern, daß seine Erwartung auf das höchste gespannt wurde, aufs neue die Vorstellung eines Stücks von ihnen zu sehen (...)?“ (Karl Philipp Moritz: Anton Reiser). Genau so erging es uns und also warteten wir mit dem Kopf voller Gedanken, dem Herz voller Erwartungen vor dem Musentempel, dessen frisch renovierte Fassade man uns ausgiebig genießen ließ, bis zum Einlaß zur Teilnahme an einem weiteren Kapitel deutscher Kultur in Rumänien, deutsches Theater in Hermannstadt.
Wie es sich für den Bildungsbürger geziemt, hatte man vorher einen Blick in den Schauspielführer bzw. in ein Goethe-Buch geworfen, war also informiert, daß ein Trauerspiel auf dem Programm stand, eine Tragödie ohne „Bösewichter“. Man wußte auch, daß dieses Stück zwar zu Goethes meistgespielten, aber nicht unbedingt zu seinen besten gehört („dichterisch etwas trocken und kalt“; „Mangel an Atmosphäre“; W. Kayser). Die Handlung, na ja, Streit auf Leben und Tod wegen der verlorenen oder doch zumindest als zutiefst beleidigt angesehenen Ehre eines Mädchens, business as usual eben. Der Bruder aus Frankreich eilt auf einen Brief herbei (i.e. nach Spanien), bedroht den ehemaligen Gatten in spe (den Titelheld), sein Versprechen wahrzumachen oder wahlweise größte Schmach oder den Tod zu erleiden, dieser gibt nach und dann wieder doch nicht, die Verratene/Betrogene/Enttäuschte stirbt (aus Verzweiflung und schwachem Herzen), Clavigo erkennt seinen Fehler und läßt sich am Sarge seiner (Ex-)Geliebten von ihrem Bruder tödlich durchbohren, dabei im Sterben diesem dankend. Mit anderen Worten: Eine absurde Geschichte, die dem heutigen Publikum genau soviel zu sagen hat, wie die meisten anderen dramatischen Texte, die auch heute noch zur Pflichtlektüre an den Gymnasien und Universitäten gehören. Der Abend hätte also gut zu einem Trauerspiel werden können, zu einer ernsten und sterbenslangweiligen Angelegenheit.
Zum Glück aber hatten die Verantwortlich dazu keine Lust. Vielmehr ließen sie sich inspirieren von dem Stück und seiner Zeit: Die Perücken und Kleidungsstücke, die affektierte Redeweise, jene unnachahmliche Art des Dahinschreitens. Das Ergebnis war extrem kurzweilig. Man schwadronierte lustig drauflos, spitzbübelte sich von Szene zu Szene und ließ keine Plattitüde ungenutzt davonkommen. Wer Schauspieler mal so richtig schauspielern sehen wollte, der war hier richtig. Da wurde gestöhnt und sinniert, gejammert und geschrien, gegackert und gequiekt. Augen wurden gerollt und Zähne geknirscht, Degen gezogen und großkalibrige Blasinstrumente mißhandelt, daß es eine helle Freude war.
Franz „Clavigo“ Kattesch konnte seine Kobolde frei auf der Schulter tragen und schelmisch vor sich hin deklamieren, so daß jeder Satz seine eigene Verneinung implizierte. Wolfgang „Carlos“ Ernst, von Goethe mit gesellschaftsrelevanter Vernunft ausgestattet, hatte seine liebe Mühe, kühlen Kopf zu bewahren, während seine kokette Bedienstete Irina Deak ihn im Rollstuhl über die Bühne und ihm manchmal auch mit der Hand unter die Weste fuhr. Monika „Sophie“ Dandlinger, die ältere Schwester Mariens, mit ihrem infantilen, immer im falschen Moment Tuba blasenden Ehegatten Roger „Guilbert“ Părvu, die wahrscheinlich seriöseste auf der Bühne, wägte ab und gab Ratschläge. Ruth „Marie“ Köhler, ein hinreißend schrecklich affektiertes Ding, die für sich verbuchen kann, wahrscheinlich den ersten verbalen Orgasmus auf die Hermannstädter Bühnenbretter gebracht zu haben, was dann allerdings auch ihre letzten mehr oder minder artikulierten Laute sind (später heißt es von Sophie an Clavigo: „Ihr letztes Wort war dein unglücklicher Name“). Und Georg „Beaumarchais“ Potzolli, als der Lebe- und wohl auch Edelmann, der er ist, weiß eigentlich gar nicht so genau, was um ihn herum geschieht, findet aber schnell Gefallen an dem blutigen Spiel und seiner Rolle als Retter der Entehrten und natürlich daran, seinen Degen blitzen zu lassen und dramatische Sätze von sich zu geben (allerdings dabei gewaltig mit den Augen zwinkernd, innerlich).
Einen Glückwunsch an das Ensemble, einen Dank an die Regie von Mc Ranin und Renate Müller-Nica für den Mut, ein altvertrautes Stück von IHM gegen den Strich gebürstet und etwas ganz anderes daraus gemacht zu haben. Auch wenn das kritische Auge das eine oder andere finden mag, was vielleicht nicht ganz stimmig ist (warum muß Clavigo doch noch sterben? Denn den Sinneswandel nimmt man ihm in der gekürzten Version nicht ab, damit auch nicht sein Opfer aus Liebe), auch wenn so mancher Miesepeter sich darüber beschweren mag, daß ein Trauerspiel nicht lustig sein soll, Danke noch einmal dafür, daß ihr uns nicht den Abend vergällt, sondern uns auf das Angenehmste vergnügt habt!
Ambulito - 3. Jun, 17:55
Am 12.04.2000 ereignete sich großes Theater in Hermannstadt. Die Deutsche Abteilung des Hermannstädter „Radu Stanca“-Theaters führte ihr neues Stück, „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller, auf und, so muß man ehrlich sagen, sie tat dies überzeugend. Die Bühne war raffiniert mit Tuch verhängt, das in der Mitte einen weit nach hinten verlaufenden Gang freiließ, zu dessen Seiten sich Zugänge befanden. Der Stoff war mit grobem Pinsel mehrfarbig dunkel gestrichelt und in der Bühnenmitte, deren Boden auch von Tuch bedeckt war, fanden sich die Farbflecken zu einem Kreis. Durch die Farben und die Linienführung wurde bereits vor Beginn des Stückes durch das von Mc. Ranin gestaltete Bühnenbild ein Vorgeschmack auf das vor Emotion und Leidenschaft prall gefüllte Stück gegeben. Mitten in diesem Fegefeuer aus Farben und Linien dann vier metallene Sitzmöbel, ein ebenfalls metallener Kerzenständer und ein kleiner Tisch. Damit steht das Setting, gesellschaftliche Konventionen mitten im Auge des Orkans und die Frage nach den Gewinnern und den Verlierern. Und auch die Hermannstädter Akteure konnten nur die Antwort geben, die ihnen Schiller in den Mund gelegt hat, es stirbt die Leidenschaft und Emotion, es obsiegt Intrige und gesellschaftliches Kalkül. Das Sterben, das geschah aber wahrlich wunderschön, neulich auf der Hermannstädter Bühne. Die Zeit vom Einnehmen des Gifttranks bis zur endgültigen Todesstarre waren die leidenschaftlichsten Momente, die ich je auf dieser Bühne gesehen habe und hätte sie fünf Minuten länger gedauert, dann wäre so mancher Theaterbesucher atemlos lauschend mit blauem Kopf Ferdinand und Luise in den Tod gefolgt. Franz Kattesch als der leidenschaftlich verliebte Jungsporn, der sich spontan über die gesellschaftlichen Konventionen seiner Zeit hinwegsetzt, hinwegsetzen will, aber sich dann doch schwertut, seinem mächtigen Präsidenten-Vater Paroli zu bieten und bei der Verhaftung von Luises Vater mehr schlecht als recht zu seiner Liebe steht und der schließlich keinen Ausweg mehr aus dem Dilemma sieht, als sich und Luise auf eine wenig männliche Art zu töten (Vergiften ist angeblich keine von Männern bevorzugte Todesart). Und auch die Luise Miller wird überzeugend auf die Bühne gebracht. Ruth Köhler in ihrer ersten und hoffentlich nicht letzten Rolle in Hermannstadt spielt die Tochter des Stadtmusikanten Miller nuancenreich. Wenn sie über die Bühne hüpft und mit ihrem Geliebten scherzt und kost, dann ist sie zwar zunächst jung und naiv und unwissend, dennoch scheint sie doch immer schon auch Böses zu ahnen und im Bewußtsein zu leben, daß sie als junges Mädchen nicht viel mehr ist, als ein Spielball der Mächtigen. Zwar versucht sie mit ihrem Besuch bei Lady Milford gegenzuwirken, muß aber letztendlich an der geballten Macht der Gesellschaft scheitern. Scheitern an der Gesellschaft, scheitern aber auch an dem intriganten Spiel, das einer wie Wurm als Sekretär des Präsidenten virtuos beherrscht. Georg Potzolli gibt den aalglatten, raffiniert agierenden Hofintriganten beeindruckend. Wenn Wurm sein Interesse an Luise ausdrückt fragt man sich, was will so ein Fiesling mit so einem netten Mädchen?
Die drei genannten Darsteller spielten alle mit offenem Visier und, von Wurm abgesehen, mit offenen Karten und lieferten ein beachtliches Zeugnis ihrer Schauspielkunst.
Die übrigen spielten sozusagen unter erschwerten Bedingungen und maskiert. Alle anderen Darsteller trugen Schaumstoffmasken mit überdimensionierten verzerrten Gesichtern auf ihren Köpfen, was ihre Ausdruckskunst auf Intonation und Gestik beschränkte. Solch eine dramaturgische Idee stellt natürlich immer ein gewisses Risiko dar, zum einen, weil solch ein Mittel wie ein Vorschlaghammer die feineren Nuancen einer Inszenierung erschlagen kann, zum andern weil den Masken tragenden Schauspielern nur noch begrenzt darstellerische Möglichkeiten bleiben. Es war aber beachtlich, was die Hermannstädter Schauspielkünstler daraus machten, denn die Art und Weise, wie sie spielten ließ manchmal vergessen, daß sie Masken trugen (und als sie nach anderthalb Stunden die Masken vom Gesicht nahmen waren ihre Köpfe so geschwollen und rot angelaufen, daß sie ihren Masken ähnlicher sah, als ihnen lieb war!). Und schließlich unterstreicht diese Aufteilung des Ensembles in zwei Gruppen den Unterschied zwischen den einzelnen Rollen: Die Maskenträger als die Repräsentanten des gesellschaftlichen Spiels namens Konvention, der eine mehr, der andere weniger, aber alle gefangen in den sozialen Rollen und Aufgaben, die sie vertreten. Und die andere Gruppe der „Nicht-Maskenträger“ als die Personen, die zwar auch in ihrem Tun eingeschränkt sind, die aber mehr als nur Rollen- und Pflichtverhalten kennen, sondern auch auf ihr Gefühl achten und eigenständig Entscheidungen fällen (selbst Wurm).
Die faszinierende Häßlichkeit der grotesk verzerrten Gesichter wird den Zuschauern sicher im Gedächtnis bleiben. Ich bin aber überzeugt davon, daß dies nicht das Einzige ist.
Ambulito - 3. Jun, 17:53